Wenn du den Nachthimmel lange genug beobachtest, begreifst du, dass jeder Stern allein und unendlich weit vom nächsten entfernt ist, aber dass sie alle einem Gesetz unterliegen und dass dieses Gesetz ihre Einsamkeit aufhebt. Es verbindet sie, stellt Beziehungen zwischen ihnen er, es beginnt ein Gespräch unter ihnen, selbst wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. So muss es auch mit den Menschen sein,“ …. „Wir sind tatsächlich allein und jeder für sich, aber wir wissen, dass es ein Gesetz gibt, das uns verbindet, weil wir ihm alle unterliegen. Solange es existiert, solange es uns verbindet, sprechen wir mit unseren unbekannten Brüdern.
aus Der Trost des Nachthimmels
Begegnung mit dem bosnischen Autor Dzevad Karahasan und seinem Roman Der Trost des Nachthimmels
Es ist ein Erlebnis, den Roman zu lesen und ein Ereignis, mit dem Autor über seinen Roman und noch viel mehr zu sprechen. Dzevad steckt voller philosophischer Betrachtungen über die Kunst des Lebens und überträgt diese auf das Leben in restriktiven politischen Systemen. Das persische Mittelalter als Spiegelbild von heute. Omar Khayyam als mathematisches Genie, Astronom, Poet – und als Mensch in einem Entwicklungsroman. Auf der Suche nach der Wahrheit, die es nicht gibt.
Gemäß seinem Glaubenssatz „Die Welt kann man nur über das Narrativ erklären“ hat Dzevad Karahasan seinen Roman über Omar Khayyam geschrieben und damit ein aktuelles Bild der Herausforderungen unserer Zeit entworfen. „Die Wahrheit offenbart sich im Dialog“ (Platon) war die Grundlage unserer Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Roman. Zwei Themen haben mich aufgrund ihrer Aktualität besonders berührt: Der Paradiesblick, den zu bewahren in unserer Gesellschaft zur hohen Kunst geworden ist und die allgegenwärtige Angst, die uns manipulierbar macht.
Der Paradiesblick…
Omar Khayyam glaubt als junger Mensch und Wissenschaftler, dass es eine Wahrheit gibt. Im Laufe des Romans begreift er die Wertlosigkeit der Wahrheit in der Auflösung eines komplexen Kriminalfalles mit vielen Wahrheiten. Menschen wie Omar Khayyam leben in einer Welt der Konstrukte. Ihnen ist der Paradiesische Blick verwehrt, der ermöglicht mit der Naivität und Offenheit eines Kindes wahrzunehmen, die Dinge so zu sehen wie sie sind und nicht wie sie sich gemäß bestimmter vorgefasster Erwartungen in einem Koordinatensystem darstellen. Eine Qualität, die vielen Menschen im Laufe des Erwachsenwerdens abhandenkommt und die nur mühsam erlernt werden kann. Khayyam lernt das Unmittelbare wahrzunehmen, das Zeichen an sich und nicht das, was dahintersteht.
Angst…
Angst bestimmt den Menschen. Despoten sind von Angst getrieben. Omar Khayyam lebte in einer Zeit, als im Westen Heiden und im Osten Mystiker umgebracht wurden. Ich-Zentrierung der Herrschaft und Egoismus waren damalige Formen des Fundamentalismus, sie muten aber sehr heutig an. „Der Mensch ist ein Wesen der Angst” und “durch die Angst verschließen wir uns vor dem Leben” zeigen klar auf, vor welchen Herausforderungen wir auch jetzt stehen.
Im Gespräch – Die Literatur erinnert uns daran, was für Wesen wir wirklich sind:
Das Titelphoto zeigt den großartigen Meidan-e Imam in Isfahan bei Nacht. Den großen Platz, genannt der Bauplan der Welt, querte auch Omar Khayyam mit seinen Gefährten.
Danke an die Gea Akademie für die Idee und Organisation von Perlen wie dieser.