Ich bin mit meiner Freundin Anne nach al-Salt gefahren, einer alten schönen arabischen Kleinstadt nahe Amman. Al-Salt liegt auf den Hängen zwischen zwei Bergen und auf einer dieser Erhöhungen thront eine alte Burg. Diese wollten wir natürlich besichtigen und wir sind bei 40 Grad mittags die Stufen hinaufgestiegen. Nach einiger Zeit sind diese Stufen im Leeren gelandet, weshalb Anne Zweifel hatte, ob wir wohl am richtigen Berg wären. Da ich bereits am Ende meiner Kräfte war und keinesfalls zurückwollte, um drüben wieder hinaufzuklettern, habe ich mit allem Gewicht, das ich zur Verfügung hatte behauptet, wir seien schon richtig und bin zur Unterstreichung meiner Gewissheit in einen Privatgarten gesprungen, an dessen Mauer die Stufen endeten.
Wir konnten unentdeckt hinaus huschen, auf der Straße hat uns dann ein Herr angesprochen und er meinte, wir wären quasi am Privatberg des Sheikhs und alle Häuser gehören zur Familie. Mit fehlenden Erklärungen, wie wir da hingekommen wären, habe ich mich auf Lächeln verlegt. Da wir uns in einem arabischen Land befinden, sind wir natürlich nicht verjagt worden, sondern bei einem Cafe im Haus des Sheikhs gelandet. Dieser ist bereits in den 70ern und strahlte richtige Autorität aus, er ist ein Freund des Königs und gehört einer der größten Familien in der arabischen Welt an. Dann kam noch der Sohn und Nachfolger und hat uns das älteste Haus der Familie mit einer unglaublichen Terrasse gezeigt, es gab Früchte, Datteln, Kaffee, Tee und nach einer Stunde hat uns der Driver zurück in die Stadt gebracht. Diese business card habe ich aufgehoben.
Szenen aus al-Salt. Bilder und Skizzen von der Malerin Renate Teuchmann
Der Alltag gestaltet sich in Amman als große Herausforderung, die täglich neu zu bewältigen ist. Sehr oft wollen wir einfach nur raus aus der Stadt. Das wirkt immer und lindert den unmittelbaren Druck. Es ist nicht leicht zu beschreiben, aber wenige halten es lange aus in Amman. Anbei ein paar Auszüge aus den Erfahrungen des täglichen Lebens:
Dicke Luft in Amman und die Spezies der Taxifahrer
Ich sitze hier sehr schniek mit einem pinken, nassen Lappen im Genick an meinem Schreibtisch und habe soeben die Hoffnung aufgegeben, heute mein Arabisch weiter zu entwickeln. Uns hat vor 3 Tagen die Hitzewelle erwischt gepaart mit einer gigantischen Staubwolke, die Amman für einige Stunden völlig eingenebelt hat. Als die Staubwolke einfiel, stand ich gerade auf der Straße, um ein Taxi zum Zahnarzt anzuhalten. Das Taxifahren an sich ist ein riesiges Kapitel im Leben dieser Stadt, bei 10 Metern Sichtweite in der Rush Hour hat es sich als fast unbewältigbar herausgestellt. Da es in der Stadt kein organisiertes öffentliches Verkehrsnetz gibt, ist man auf Taxis angewiesen, außer man hat das Glück, einen Bus auf einer der Stadtautobahnen anzuhalten.
Die Taxifahrer sind einerseits die Sklaven des Höllenverkehrs, andererseits gerieren sie sich als Diven für die man ein breites Repertoire entwickeln muss, sonst ist man einfach immobil. Ich habe mich diesbezüglich schon ziemlich entwickelt, einerseits habe ich mir arabischen streetslang angeeignet, den ich an der Uni natürlich nicht lerne, andererseits bereite ich jede Taxifahrt vor und das täglich. Die Araber orientieren sich nämlich nicht an Straßennamen, die abgesehen davon auf jedem Plan unterschiedlich heißen, sondern an Landmarks. Das ist für Nicht-Amman-Bewohner schier unmöglich, denn die Moschee tut es natürlich nicht, die gibt es in jeder Straße. Es war mir anfangs völlig rätselhaft, aber irgendwie funktioniert es.
Das Schwierigste ist, ein Taxi zu bekommen, da sie entweder besetzt sind oder gerade nicht disponiert sind oder dein Ziel einfach nicht super finden. Die Kunst ist es dann während der Fahrt von der Bitt- in die Kampfstellung so überzugehen, dass es der Taxifahrer (es gibt nur ein Geschlecht in diesem Gewerbe) nicht bemerkt. Das betrifft Preisverhandlungen genauso wie Diskussionen über den Ehestand und die Anzahl der Kinder und vor allem die eigene Sicherheit. Unlängst musste sich meine Freundin Anne aus dem Taxi retten als der Fahrer aufgrund des Verkehrs ausgerastet ist und sein Schwert unter dem Sitz hervorgeholt hat, um damit auf einen anderen Autofahrer loszugehen. Das zählt zwar zu den Ausnahmen, aber richtig verwundert bin ich auch nicht gerade.
Gelassenheit statt Ergebnisorientierung
Apropos Bewältigung des Alltags, ich darf berichten, dass ich nach 5 Wochen meinen Antrag mit allen Stempeln und Unterschriften für die Registrierung zusammen hatte und beim Dean vorgesprochen habe. Ich muss zugeben, dass ich in einem fragilen Zustand bei ihm war, weil auf dem Weg dahin zu viele Behördenbesuche lagen. Ich war so glücklich, das geschafft zu haben, bis er mir mitteilte, dass alle meine Unterlagen für eine Person in Australien ausgestellt wurden. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, hat er eine sehr untypische empathische Haltungsweise eingenommen, sonst weiß ich auch nicht was passiert wäre. Alles von vorne konnte er mir nicht ersparen, inzwischen liegen meine Papiere im Innenministerium, von dem ich einen Stempel benötige, um einen Aidstest machen zu dürfen, mit dem ich dann zur Polizeistation gehen darf, um meine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Heute erhielt ich einen Anruf, dass sie eine schönere Kopie meines Passes möchten, ich darf also morgen nochmals nachreichen.
Das Beruhigende daran ist, dass es nicht nur mir so geht, sondern allen – das aber blöderweise in jeder Lebenslage. Mein größtes Lernen war also, niemals und zwar wirklich niemals mit dem Anspruch irgendwo hinzugehen, etwas erledigen zu wollen. Man geht zur Post, zum Arzt, zum Magistrat – wohin auch immer zunächst einmal um die Lage zu sondieren und zu sehen, was es so gibt, wenn der Tag lang ist. Jedes Schriftstück und jede Auskunft muss mehrfach gegengecheckt werden, weil sie das nächste Mal sicher in bisschen anders ist oder jemand anderer gegenübersitzt oder….
In Jordanien leben aufgrund der zahlreichen Flüchtlingswellen mehr Palästinenser als Jordanier. Egal wo man hinkommt begegnet man PalästinenserInnen. Jordanien hat sich lange Zeit westlich und östlich des Jordan definiert, das wurde erst durch den Krieg mit Israel verändert. Seit 1994 gibt es ein Friedensabkommen, Jordanien ist eines der wenigen arabischen Länder, das Israel anerkannt hat, weswegen es Grenzübergänge und politischen Austausch gibt. Zum Ende des Ramadans bin ich mit Anne für fünf Tage nach Palästina gefahren, um die Westbank zu erkunden. Jerusalem ist von Amman zirka eine Stunde entfernt, wir haben für diese Distanz sieben Stunden benötigt. Wir waren in nur 20 Minuten an der Grenze. Dort startete ein absurdes Prozedere, das sich stellenweise wie in einem Viehtransport anfühlte. Man wird in unterschiedliche Busse verfrachtet, muss im Niemandsland unter dem Meeresspiegel bei 45 Grad auf einer Brücke stundenlang warten, um unterschiedliche Checkpoints zu passieren, um dann Schlange zu stehen, bevor man von der israelischen Grenzwache interviewt wird. Wenn man, so wie wir, einige arabische Stempel im Pass hat, ist das natürlich ganz schlecht. Wir wurden zuerst getrennt interviewt oder mehr interrogiert, dann wurde uns der Pass abgenommen und wir mussten auf ein Interview zu zweit mit dem Manager warten. Wir hatten eine Geschichte vorbereitet, die zum Glück gehalten hat, denn was sie gar nicht hören möchten ist, dass wir gerade in Amman leben, arabisch studieren und die Westbank besuchen wollen. Also haben wir von Bauhaus in Tel Aviv, inklusive Architekturinteresse und Reise durch Griechenland und Italien eine Geschichte gespannt, die zum Glück trotz wirklich gemeiner Fragen gehalten hat. Israel möchte verhindern, dass Ausländer in palästinensische Gebiete fahren und dort die Zustände sehen, die kurz gesagt ziemlich unglaublich sind.
Das Unfassbare
Ich kann das hier gar nicht beschreiben, es würde zu weit führen, aber unser Aufenthalt in der Westbank und speziell in Hebron hat mein Menschenbild verändert. Es sind unmenschliche Zustände, unter denen die Menschen leben müssen, und wir waren nicht einmal in Gaza, wo es viel schlimmer ist. Ich denke, dass nur ein Volk, das selbst geknechtet worden ist, auf diese Weise mit anderen Menschen umgehen kann. Auf der anderen Seite sind wir in der schönen Altstadt von Nablus ständig über Schreine von jungen Männern gestolpert, die wie bei uns die Heiligen am Marterl verehrt werden. Ungeprüft gehe ich davon aus, dass sie alle Selbstmordattentäter waren.
Wir haben in Ramallah gewohnt und dort sehr offene und lebhafte Menschen kennen gelernt, mit einigen von ihnen sind wir nach wie vor in Kontakt. Das Fest zum Ende des Ramadans ist wie Ostern und Weihnachten gleichzeitig, Tohuwabohu, Kitsch, gemischt mit religiösen Inhalten. Besonders finde ich, dass der Grund für die Menschen, den Ramadan einzuhalten in erster Linie wirklich darin liegt, dass für einen Monat im Jahr alle gleich sind. Es geht darum, sich auf die Stufe der Armen zu stellen und durch das Schaffen der Gemeinsamkeit Solidarität zu zeigen. Diese Form der kollektiven Selbstreduktion erscheint mir gesund und hat mich beeindruckt.
Fotos von Nablus
Fotos von Ramallah
Geheiligte Stätten
Wenn du alles verstehst, bist du kein Mensch mehr sondern Gott (nach Abu Said)
Zum Schluss waren wir noch einen Tag in Jerusalem und haben am Tempelberg den Beginn der folgenden Ausschreitungen miterlebt. Der Tempelberg ist durch die beiden Moscheen ein muslimisches Heiligtum und steht unter palästinensischer Hoheit. Die Sicherheit wird aber durch Israel sichergestellt. Da die Juden unter der Moschee einen jüdischen Tempel vermuten (sie dürfen natürlich nicht graben, um es herauszufinden), bestehen manche ultraorthodoxe Juden darauf, vor der Moschee religiös zu praktizieren. Ihr könnt euch vorstellen, wie das bei den AraberInnen ankommt, wir durften nicht einmal das guide book vor der Moschee lesen, obwohl sie mir grundsätzlich glaubten, dass es sich um keinen religiösen Text handelte. Auf einmal sind 10 schwer bewaffnete Israelische Militärs mit ein paar Orthodoxen aufgekreuzt, um zu ermöglichen, was für manche Muslime blasphemisch ist. Daraus entstanden Proteste, die wieder mit Militärgewalt beendet werden mussten. Niemand hier glaubt unter den gegebenen Umständen und den derzeitigen politischen Interessenlagen an eine Lösung in diesem Konflikt. Ich möchte unbedingt bald wieder hinfahren, es gibt hier so viel zu verstehen das wahrscheinlich niemand verstehen kann. Zumindest nicht rational, es entzieht sich jeder Logik und wie Abu Said schon gesagt hat: „Eindeutigkeit gibt es nie in der Wirklichkeit, sondern nur in der Eindimensionalität.“ Gleichzeitig sagt Platon: „Die Wahrheit offenbart sich zwischen uns im Dialog“. Es gibt also noch viel zu tun.
Ich bin nun zwei Wochen in dieser Stadt, und jeder Tag ist ein eigenes Projekt. Ich schwanke zwischen Jubel „Wow! Heute habe ich zum ersten Mal im Restaurant für eine vegetarische Bestellung kein Huhn bekommen“ und Schreien, weil eingesperrt auf der Toilette im leeren Amtsgebäude der Uni vor dem langen Wochenende nachdem ich heimlich Wasser getrunken habe. Um es kurz zu machen: Ja, ich wurde nach einiger Zeit gerettet, weil ich glücklicherweise mein Handy mit der Nummer der Uni bei mir hatte und vor allem, weil die Person am anderen Ende zufälligerweise Englisch konnte. Das war aber ein außergewöhnlicher lucky punch, den ich nicht so oft hier erlebe.
Es ist schön in Amman, einer grauen, aber bewegten Stadt, die von sieben auf 19 Hügel angewachsen ist – und das – trotz dürftiger öffentlicher Infrastruktur. Iraker, Palästinenser, Syrer, derzeit Saudis (in 5-Sterne-Hotels gibt es auf den Zimmern in der Minibar Alkohol), Expats und nicht zu vergessen Jordanier. Im Moment ist allerdings alles nebensächlich außer Ramadan. Für die Muslime, die sich daranhalten, bedeutet das, ein Monat von 5 Uhr früh bis 8 Uhr abends nichts zu sich zu nehmen, das heißt kein Wasser, Essen, Tabak, alles verboten. Währenddessen wird hauptsächlich geschlafen und reduziert gearbeitet. Diejenigen, die arbeiten müssen, sind nicht in bester Laune, dafür ist um 8 Uhr Fastenbrechen, und dann geht das Leben los. Zuerst in den Häusern – kurz davor ist es mucksmäuschenstill in der Stadt – und dann auf der Straße. Für Nichtmuslime bedeutet das, ständig zwischen Dehydrierung und, in einer stinkenden Klokabine versteckt, heimlich Wasser Schlürfen herum zu jonglieren – beide Zustände inklusive Unterzuckerung und folgendem Fressanfall (es könnte ja das letzte Mahl sein) erlebe ich täglich. Weshalb man auch ohne Fasten ziemlich mitgenommen ist. Dazu kommt noch, dass wir StudentInnen (ich bin natürlich die Älteste, aber dazu ein andermal) untertags fit sein müssen, weil die Uni echt hart ist, und in der Nacht mithalten müssen, denn dann gibt es auf einmal etwas zu essen. In einem der wenigen legalen illegalen Cafés im christlichen Bezirk in Downtown das uns einmal Schutz und Wasser gegeben hat, saßen wir hinter zugezogenen Vorhängen und mit unterdrückter Lautstärke. Wir hatten ein gewisses Unruhegefühl, und die Tür war immer unter Beobachtung. Tatsächlich ist es in Jordanien so, dass die Polizei einschreitet, wenn Menschen auf der Straße Wasser trinken, ich möchte auch nicht die Reaktion der Fastenden erleben müssen.
Ich bin nach einer Woche in Downtown nun zwar näher bei der Uni aber am Rande der Stadt gelandet – auf dem Dach des Hauses eines Freundes einer Freundin, auf dem es einen kleinen Aufbau gibt. In diesem Horst mit sehr rudimentärer Einrichtung habe ich die letzte Woche verbracht. Wenn ich von meinem Dach auf die karstigen Hügel hinunterschaue, sehe ich große Autos, die zu den letzten Häusern hinfahren. Und einen Esel, auf dem einer der sehr Armen, umgeben von stinkenden Schafen, auf den Hügeln hin und her reitet. Insgesamt eine wilde Mischung mit Hunden, die in den Hügeln leben, und Katzen, die rund um die Mülltonnen hausen. Die Familie von Mohammad, meinem Gastgeber, ist entzückend, und ich durfte gestern bei Iftar, dem Fastenbrechen, dabei sein. Mit meinen ersten Arabischkenntnissen habe ich zum Amüsement der Familie beigetragen. Meine Manner- und Pischinger-Schätze sind längst geleert, weil ich so viele nette und unterstützende Menschen kennen lerne. Der Grund warum ich hier gelandet bin ist der Ramadan. Apartments sind in durchmischtem Zustand, um es höflich auszudrücken, und teuer, weil so viele Menschen hierherkommen. Vor allem aber kann man sie nur zwischen 22 und 24 Uhr besichtigen, denn vorher wird gegessen und davor wird geschlafen.
Ich ziehe als nächstes für zwei Wochen in ein Apartment nahe der Uni, weil ich versuche, höflich zu sein, und mich nicht dauerhaft auf dem Dach einnisten möchte. Höflichkeit ist allerdings ein arabisches Universum, das ich noch lange nicht verstehen werde.