Category: Unterwegs im Nahen Osten

  • Erster Versuch Saudi-Arabien

    Erster Versuch Saudi-Arabien

    Das schnelle Ende und der unvollendete Anfang 2020

    Ein Jahr musste vergehen. Ich dachte, ich würde so schnell wie möglich einfach da weiter machen wo ich aufgehört hatte in der Wüstenstadt Riyadh, bei meiner ersten Entdeckungsreise in Saudi-Arabien. Es war mein Deal mit mir – zu gehen, um wieder zu kommen. Nun ja. Es bleibt auch noch nach einem Jahr ungewiss. Das schmerzt und deswegen schreibe ich jetzt nieder, was mich so bewegt hat in dieser kurzen Zeit. Ein Land, völlig unbefleckt, weil so befleckt. Ich wollte mir unbedingt mein eigenes Bild machen und mit Menschen ins Gespräch kommen, von denen man nie hört außerhalb der arabischen Welt.

    Freedom of thinking

    Freedom of speech ist also ideenlose Vordergründigkeit, die auf die Strukturen im Westen zugeschneidert ist. Die erste Frage aller Journalist*innen aus dem Westen und dabei so dumm, da sie alle anderen ausschließt oder gering bewertet. Freedom of speech sei eine vermeintliche Freiheit, da sie nichts dahinter verlangt. Freedom of thinking hingegen ist smart. Sie erhält die Würde und gibt Gestaltungsfreiheit bei der Wahl der Methoden und Zugänge, ohne dabei in totalitären Regimen das eigene Leben zu riskieren. Sie erfordert das intellektuelle und emotionale Durchdringen eines Themas und ein hohes Maß an Kreativität für ungewöhnliche Lösungen. Zu intelligent für die Zensur und gleichzeitig Standpunkte und Botschaften vermittelnd. Die Spielwiese und das Spezialgebiet des saudischen Künstler*innenkollektivs rund um Abdulnasser. And smart he is!

    freie Zusammenfassung nach Abdulnasser Gharem

    Ich ließ seine Sätze sickern. Er saß umrahmt von Bücherwänden mit wichtigen philosophischen Titeln und Schriften von Intellektuellen der ganzen Welt. Kunst braucht philosophische Auseinandersetzung und einen Überbau! Ich lächelte, der ehemalige Oberstleutnant der saudischen Armee war in seinem Vortrag sehr überzeugend und ich seine einzige Zuhörerin. Mein Blick schweifte im Raum herum. Die anderen Anwesenden waren Künstler*innen und Teil des Kollektivs. Für sie war das nichts Neues und nicht alle von ihnen sprachen englisch. Sie arbeiteten an einem Mosaik im Auftrag von Abdulnasser. Meine erste intellektuelle Diskussion in Saudi-Arabien und ich war beflügelt. Gleichzeitig war ich innerlich aufgelöst, da ich so glücklich war, dass sich mein Atelierbesuch gerade noch ausgegangen ist, bevor ich ein paar Stunden später zum Flughafen fahren musste. Die letzte Maschine aus Riyadh Richtung Europa. Wenn alles gut ging, könnte ich über Istanbul nach Wien fliegen. Ich hatte ein online Ticket aber ohne Bestätigung. Das war mir in dieser Minute völlig gleichgültig.

    Die letzten Stunden

    Ich wollte nicht weg aus Saudi-Arabien. So lange hatte ich gewartet, bis ich in dieses Land offiziell als Individualtouristin einreisen durfte, und jetzt Pandemie. Ladenschluß. Das dritte Mal auf meiner Reise, nach der unvollendeten Revolution im Libanon und der Staatstrauer um Sultan Qaboos im Oman. Ich war wütend und konnte mich doch nicht dem wohlmeinenden Druck von Freund*innen und letztlich dem Anruf der Botschaft entziehen. Abbruch.

    Ich machte keine Photos, ich wollte ganz präsent sein, zuhören und schauen. Sehen was passiert, was sich eröffnet. Wael, ein junger Künstler, der gerade in Dubai ein Projekt eingereicht hatte, führte mich durch die Zimmer. Seine Übertragung der Popart, Comics aus Amerika, Europa und Japan übersetzt auf heutige arabische Verhältnisse und doch auch wieder nicht arabisch. Global Smart. Dann war klar, dass ich gehen musste. Ich war schon viel zu lange da und was wollte diese Europäerin eigentlich, die nicht einmal Künstlerin war geschweige denn Philosophin, aber mit der man über so vieles reden konnte? Ich hatte einfach eine Email geschrieben, dass ich vorbeikommen und sie kennen lernen wollte. Ich hatte in einem Magazine in Dubai‘s Alserkal Art District von ihnen gelesen und war sofort fasziniert. Wie schafft es ein saudischer Künstler unter den bestehenden restriktiven Bedingungen, provokante Botschaften künstlerisch so eindrucksvoll umzusetzen? Ihn wollte ich kennen lernen und da war ich. Und wollte nicht weg.

    Ich war mir nicht sicher, ob ich Einlass finden würde, da ich Instruktionen nur per Social Media erhalten hatte und in der Straße nichts auf ein Künstlerstudio hindeutete. Erst durch einen Anruf konnte ich den völlig unscheinbaren Eingang finden und landete in einem Vorgarten, der nichts verriet und eher an einen Ablageplatz einer Werkstatt erinnerte. Vielleicht gibt es diese Adresse schon nicht mehr, denn bei meinem Besuch war bereits unklar, ob sie bleiben konnten.

    Ich verabschiedete mich und Wael umarmte mich sehr herzlich. Das war neu für mich, auf der arabischen Halbinsel kommt das selten vor bei Männern noch dazu in Zeiten von Corona. Aber er war sehr jung, eine neue Generation, erfrischend offen und unabhängig im Geist. Wenig später versuchte ich dem Taxifahrer klar zu machen, dass wir schnell sein mussten, was in Riyadh ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber ich musste noch meine Sachen von acht Monaten packen und rechtzeitig am Flughafen sein. Es gab keinen nächsten Flug, am Morgen würde der Flughafen geschlossen werden.

    Es war bereits dunkel, Hitaf war nicht zu Hause. Sie hatte noch Dienst im Krankenhaus. Emergency Unit. Ich hinterließ ihr einen Brief, denn ich musste einen Teil meiner Sachen zurücklassen. Ich musste froh sein, wenn ich in den Flieger durfte, Übergepäck kam nicht in Frage. Kurz danach saß ich wieder im Taxi. Es war eine lange Fahrt und ich nutzte die Zeit, um all jenen Menschen zu schreiben, die sich bereit gezeigt hatten mich zu treffen und eventuell sogar ein Interview zu geben. I will be back, es war mir klar, dass ich zurückkommen musste, um den Faden wieder aufzugreifen. Dort, wo ich ihn jetzt durchgeschnitten hatte.

    Welcome to Riyadh

    Dabei hatte alles so großartig begonnen. Niemals hätte ich mir gedacht, dass ich in meiner ersten Woche in Riyadh so viele beeindruckende Menschen, vor allem junge und Frauen kennen lernen würde. Ich war viel herum gekommen im Nahen Osten, trotzdem hatte ich keine Vorstellung, wie es sich wirklich anfühlt in Saudi-Arabien. Und selbst diejenigen, die zuvor dort gelebt hatten, kannten nur die Realität der Ghettos für die Ausländer*innen ohne Bewegungsfreiheit mit der Geschlechtertrennung und der allgegenwärtigen Sittenpolizei. Und das war jetzt alles Geschichte. Ich konnte alleine durch die Straßen flanieren und mich in ein Kaffeehaus setzen, ohne darauf achten zu müssen, den Fraueneingang zu nehmen, denn den gab es nur mehr als Relikt. Und all das innerhalb von wenigen Jahren. Ausradiert.

    Alles schien besser, unvergleichlich besser für die jüngere Generation, die ja das Davor, also die Zeit vor der Besetzung der Großen Moschee von Mekka 1979 und dem radikalen Schwenk nicht erlebt hatte. Alles, außer die Meinungsfreiheit oder präziser gesagt, freedom of speech. Es geht um Macht und Geld, so wie überall anders auch, aber die Mittel sind beängstigend und brachial. Am Tag, an dem ich gemeinsam mit 150 Fremd-Arbeiter*innen aus dem Oman kommend einreiste, platzte eine der vielen politischen Bomben. Nächste Angehörige und sehr mächtige Vertreter*innen des Königshauses wurden verhaftet. Ich hatte Sorge, dass es gröbere öffentliche Interferenzen geben könnte, nicht aber so in Saudi-Arabien.

    Ankunft mit Freunden

    Bei der Einreise war ich inmitten all der Arbeiter die einzige Frau und Touristin. Wie ich später erfuhr, ist es üblich, dass einige von ihnen Drogen schmuggeln, indem sie die Päckchen schlucken. Deshalb ließen sie uns nach den Wärmetests lange in der Schlange warten. Sie beobachteten, ob eine*r von uns Auffälligkeiten zeigte. Ein Mann war schon im Flieger nicht mehr ganz bei Sinnen, er taumelte und lallte. Ich war wütend, da er beim Einsteigen fast über mich fiel und ich forderte die umstehenden Kollegen auf, sich um ihn zu kümmern. Aber keiner von ihnen half ihm, sie wollten mit ihm nichts zu tun haben. Er war eine Gefahr für die Anderen. Danach hatte ich ihn aus den Augen verloren.

    Eine sehr nette und geduldige Einreisebeamte ließ sich von mir auf arabisch meine Passdetails erläutern. Ich stammelte, da ich soviele Aufenthalte und speziell die im Iran und in China rechtfertigen musste. Aufgrund der Pandemie waren die beiden Herkunftsländer verboten. Sie war sehr nett und honorierte meine Bemühungen. Ich war schweißgebadet, sie war mein erster Kontakt mit den saudischen Behörden. Als Alleinreisende hatte ich mich davor natürlich eingelesen und die Berichte über die Feministinnen und Widerstandskämpferinnen im Gefängnis hatten meine Phantasie beflügelt. Schließlich kann man meine Positionierung sehr leicht öffentlich im Internet nachlesen. Aber im Gegensatz zu den israelischen Einreisebehörden, die umfassende Kenntnis über mich hatten, schien ich sie nicht weiter zu interessieren. Schließlich war ich eine der ersten Touristinnen und die sind für einen zukünftigen Wirtschaftsumschwung gefragt.

    Fortsetzung folgt!

  • Es bleibt nur Wut

    Es bleibt nur Wut

    Gegen die Verachtung

    Täglich hören wir von grausamen Vorfällen irgendwo auf der Welt und sogar wenn wir nicht davon hören wissen wir, dass es sie gibt. Die Explosion von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen und damit mitten in Beirut, ist nicht die erste Katastrophe, die den Libanon, Beirut und seine Menschen trifft. Katastrophen kommen oft von außen, sie haben einen schicksalhaften Charakter. Die Libanesen haben aufgrund der Geschichte des Landes und seiner kollektiven Entwicklung nach dem Bürgerkrieg gelernt, damit und auch mit den selbst induzierten Krisen umzugehen. Auf verschiedene Weise profitierten am Ende (zu) viele von einem Nichtangriffspakt.

    Kollektiver Widerstand

    Die junge Generation hat diese Situation erstmals aufgebrochen. Im Herbst 2019 hat die Mehrheit der Libanes*innen vereint NEIN gesagt. Es ging darum, nicht mehr hinzunehmen, dass nichts zu ändern ist an einer unerträglichen Situation, die zum Vorteil weniger und zum Nachteil der Vielen gereicht. Die vielen Menschen auf der Straße wollten ein von den bestehenden Eliten unabhängiges politisches System, ein nicht korrumpierbares demokratisches Vertretungsprinzip, das für alle gleiche Chancen vorsieht. Ich war von der Grassroots Bewegung, der Klarheit ihrer Forderungen und ihrem Gestaltungswillen sehr beeindruckt. Selbst physischen Angriffen von Schlägertrupps hat sich die unbewaffnete Zivilbevölkerung mutig entgegengestellt. Immer und immer wieder. Ein aus dieser Perspektive fauler Kompromiss sollte die internationalen Geldgeber und die libanesischen Eliten befriedigen. Und jetzt das.

    Ignoranz wird zur Verachtung

    Die Explosion von 2750 Tonnen hochexplosivem Material, von dem jeder in der Regierung und beim Militär wissen musste und niemand etwas unternommen hat, ist der vorläufige Höhepunkt. Es braucht nur Hausverstand, um standardgemäße Sicherheitsvorkehrungen zu treffen und das Material entsprechend außerhalb von Wohngebieten zu lagern. Es ist genau diese Form der Vernachlässigung, des fehlenden Respekts gegenüber Menschen und jedem Lebewesen in diesem Land, die mich immer wieder dazu veranlasst hat, nach einiger Zeit das Land zu verlassen; da ich die Ignoranz, mit der Menschen alltäglich Leid zugefügt wird – durch gravierende Umweltverschmutzung und Vorenthaltung von menschenwürdigen Lebensbedingungen und Versorgung mit dem Nötigsten – nur schwer ertragen konnte. Dabei ging es nicht darum, dass der Libanon so wenige Ressourcen hat, dass es nicht leistbar wäre, menschenwürdige Zustände herzustellen, denn es gibt Eliten. Die wenigen, die unvorstellbar reich sind, das offen zur Schau tragen und ihr Geld dafür einsetzen, dass sich nichts ändert.

    Diese Explosion ist nur die Spitze einer langen Kette von verachtendem und herabwürdigendem Umgang zwischen einer politischen Kaste und der Bevölkerung vor pseudodemokratischen Strukturen, die nur dafür ausreichten, ausländische Regierungen zum Nichtstun zu beruhigen.

    Letzte Chance

    Die Reaktion der Menschen kann daher nur unfassbare Wut sein und diese Wut ist nicht nur verständlich, sondern auch angebracht. Jetzt muss geholfen werden, die Schäden dieser Katastrophe so gering wie möglich zu halten, aber danach kommt erst die große Aufgabe: den Libanesinnen und Libanesen, die noch die Kraft haben, die Chance zu geben, dass sie selbst Verantwortung für ein besseres Leben übernehmen dürfen und nicht als Spielball der Mächtigen erneut an die Wand geschlagen werden.

    Meinen Freundinnen und Freunden gewidmet – Wir sind Libanon

    In der letzten Zeit bin ich immer mehr zu der Erkenntnis gelangt, dass dieser fehlende Respekt und meine Verzweiflung, dass meine Freund*innen das ertragen müssen, in gleicher Weise uns hier in Europa betreffen. Im Libanon war es zu offensichtlich, aber inzwischen kommen auch hier immer mehr Praktiken an das Tageslicht, die dieselbe Form von Verachtung und Herabwürdigung menschlichen Geistes und Lebens beinhalten. Wir sind alle im gleichen Boot, die Klimakrise ist ein anschauliches Beispiel dafür. Eines von vielen. Meine Freunde im Libanon unterscheiden sich in ihren Träumen, Wünschen und Potentialen nicht von uns. Wir kämpfen alle den gleichen Kampf für mehr Menschenwürde und Chancengleichheit.

    Ausflug in den Hafen

    *Das Photo entstand bei meinem ersten und letzten Besuch des Hafens von Beirut im Oktober 2019. Ich liebe Häfen und wollte immer schon einmal den Hafen in Beirut näher inspizieren. Man sieht ihn von überall in der Stadt, vor allem die großen Silos, die aus jedem Photo von Beirut herausragen. Kein Passagierhafen, sondern industriell genutzt. Da er hinter einer Autobahn liegt, ist er schwer zugänglich. Ich hatte immer den Eindruck, dass es nicht erwünscht ist, sich vor Ort anzusehen, wie heruntergekommen dieses Areal bei näherem Hinschauen ist und in welch erbärmlichen Behausungen die Hafenarbeiter leben. Damals hatte ich natürlich keine Ahnung davon, was in den Silos gelagert wird. Man sagte mir, es seien Getreidespeicher.

    Ich überquerte die Autobahn über die Fußgängerbrücke und war als Einzige zu Fuß unterwegs. Eine sichtbar vernachlässigte ärmliche Gegend und durch männliche Fremdarbeiter dominiert, die sehr irritiert waren, dass da auf einmal eine Frau entlang spaziert. Da es vergleichbar Heruntergekommenes an mehreren Stellen in Beirut und im Libanon gibt, habe ich mich nicht abhalten lassen und die abgehalfterten Securities nahmen auch nicht weiter Notiz von mir. Also ging ich immer weiter, schließlich wollte ich das geschäftige Treiben eines Industriehafens sehen, welches ich allerdings nicht vorfand. Nachdem ich die Silos am Wasser erreicht hatte, umgeben von heruntergekommenen Arbeitersiedlungen und mit ein paar im Schatten dösenden Menschen, die mich alle beobachteten, suchte ich mit Hilfe von google maps einen schnellen Weg hinaus. Es war eine unheimliche Gegend, keiner meiner Freunde aus Beirut ging hin und ich hatte das nach meinem Ausflug auch nicht mehr vor.

    interessante Links:

    Vertrauenswürdige NGOs Spendenorganisationen im Libanon
    DerStandard Gudrun Harrer: Analyse
    Inside Lebanon von Mideast Eye
    Beispielhafte Portraits von 2 mutigen Frauen in Beirut: Sabine: Kämpferin für das Gute und Kämpferin für Nachhaltigkeit
    Persönliche Bilder zur Lage im Libanon Herbst 2019: Revolution
    Artikel zum Libanon vor der Katastrophe von Paradiesische Hölle

  • Echte Tränen im Oman

    Echte Tränen im Oman

    Eingehüllt in kollektive Trauer

    Der Abgang eines Heroes

    Niemand hatte eine Vorstellung davon, wie es werden würde nach Ihm. Immer wieder habe ich mit meinen Omanischen FreundInnen darüber gesprochen: Was, wenn, danach? Sultan Qaboos Bin Sa’id Al Sa’id hat die Regentschaft von seinem Vater 1970 in einem Coup mit den Briten übernommen. Er hat das Land aufgebaut und 49 Jahre regiert. Er hat die Renaissance des Oman ausgerufen und Schritt für Schritt von einem wirtschaftlich und gesellschaftlich rückständigen Land zu einem prosperierenden friedvollen Partner in der Region entwickelt. Die neutrale partnerschaftliche Haltung des Oman war und ist ein wichtiger Stabilisator in einer sonst von Kriegen und Konflikten gekennzeichneten Region.

    Darüber ist in den letzten Wochen viel geschrieben worden, deswegen möchte ich hier nicht weiter ins Detail gehen, auch wenn die Entwicklungen, die der Oman durchgemacht hat, sehr beeindruckend sind. Diesen wohlgeplanten Übergang in ein neues, modernes Zeitalter haben die Omanis miterlebt und die damit verbundenen Verbesserungen in ihrem Alltag lieben gelernt. Die Rolle als Friedensstifter und Toleranzbastion unter streitenden Brüdern wurde Teil der Identität eines ganzen Volkes. In den Augen der Omanis hat Sultan Qaboos sein Leben als unverheirateter Single ohne öffentliche Eskapaden dem Land gewidmet. Sein Auftreten und seine im schönsten Arabisch formulierten Reden waren selbst für einen gebildeten Menschen außergewöhnlich. Als das National Museum 2015 eröffnet wurde, habe ich eine Stunde vor dem Wurlitzer mit den gesammelten Reden des Sultan seit 1970 verbracht. Auch wenn ich das Meisste nicht verstand, waren seine politischen Reden Poesie in meinen Ohren.

    Sultan Qaboos hat schon zu Lebzeiten einen Kultstatus errungen, der sich jeder Besucherin und jedem Besucher bald eröffnete. Natürlich ist der Oman kein Schlaraffenland, es gibt auch hier einiges zu verbessern und sein Nachfolger wird alle Hände voll zu tun haben, um den Oman vor allem wirtschaftlich abzusichern. Wenn auch mit gewählten Beratungsgremien, ist das Sultanat eine autoritär geführte Monarchie mit eingeschränkter Redefreiheit. Aber der Sultan hatte dafür gesorgt, dass niemand Not leiden muss und jede und jeder etwas vom Kuchen, der durch Öl und Gasvorräte bis vor kurzem ausreichend groß war, abbekommt. Die Menschen haben das gespürt und es war Teil ihrer Zufriedenheit, Bescheidenheit und Ergebenheit gegenüber dem unangefochtenen Landesvater.

    Der Oman hat also am 10. Jänner 2020 seinen Vater verloren. Es war keine große Überraschung, da Sultan Qaboos schon länger schwer krank war, aber innerlich hatte offenbar doch niemand damit gerechnet oder rechnen wollen. Denn nicht nur durch die komplexe Erbschaftsregelung konnte sich niemand vorstellen, wer in die Fußstapfen des großen Mannes und Helden der Beduinen treten könnte.

    40 Tage kollektive Trauer

    Ich erwachte früh an jenem Freitag, dem wichtigsten Feiertag in der Woche und Tag des Freitagsgebetes, und mein Mobiltelefon war bereits mit Nachrichten überfüllt. Es war geschehen, Sultan Qaboos in der Nacht verstorben. Nachdem alle großen Straßen gesperrt waren und alles abgesagt wurde, wußte ich nicht, was ich tun sollte und fuhr über Seitenwege an den Strand zum morgendlichen Spaziergang. Ich war im einzigen Auto in Muscat, der Hauptstadt des Landes unterwegs, ich traf niemanden, alles schien wie ausgestorben. Mein Strandspaziergang war daher unheimlich, für kurze Zeit folgte mir ein Armeefahrzeug, keine Menschenseele an den sonst mit Flanierern gefüllten Meeres Promenaden. Es war völlig unklar, was passieren würde, aber der Übergang nach dem Ableben des Monarchen war perfekt orchestriert. Die befürchteten Familienfehden fanden nicht statt, das Militär hatte alles im Griff. Vier Stunden danach wurde bereits der Nachfolger, sein Cousin Haitham ibn Tariq als neuer Sultan angelobt, um 11 Uhr fand das Begräbnis statt und danach begannen die viertägigen Trauerfeierlichkeiten.

    Für vier Tage wurde das Land völlig geschlossen, gerade manche Supermärkte hatten geöffnet, die Straßen wurden für die vielen Staatsgäste abgeriegelt. Viele ausländische Würdenträger kamen und die Medien waren überfüllt mit Nachrufen und Würdigungen, die 40 Tage dauern sollten. Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Ein Land fiel in kollektive Trauer um seinen Vater, der Sicherheit und Identität gab. Alle mit denen ich sprach, vom Taxifahrer bis zur Unternehmerin, waren zu tiefst betroffen. In den Familien wurde geweint und das nicht nur am ersten Tag der Bekanntgabe der Todesnachricht. Dabei wurde die Nachricht vom neuen Sultan sehr positiv aufgenommen, ein wesentlicher Aspekt war, dass Sultan Qaboos selbst den Namen des Nachfolgers in einem Brief festgehalten hat und die Familie auf einen eigenen Vorschlag verzichtete.

    Es wurde still

    40 Tage ohne Musik, Tanz, Feierlichkeiten. Alle Veranstaltungen vom Muscat Marathon bis zur Ausstellungseröffnung oder Opernaufführung wurden abgesagt. Sogar Firmen stornierten alle Feierlichkeiten oder öffentliche Veranstaltungen. Im Fernsehen und Radio oder den Shoppingmalls spielte keine Musik, selbst aus den Autos drang keine Laut. Alle Aktivitäten wurden herunter gefahren und zwischendurch gab es immer wieder Tränen. Wenn man nicht dabei war, könnte man schnell in europäischen Zynismus verfallen, denn immerhin handelte es sich um einen politischen Führer, aber die Gefühle waren echt und ich traf niemanden, der sich auch nur ansatzweise davon distanziert hätte. Eines der Talente, die ich im Zuge meiner Interviews für die podcasts traf formulierte es später so:

    Uns wurde nach dem Ableben (von Sultan Qaboos) bewußt, wie sehr wir unseren Lebensstandard für selbstverständlich und gegeben nahmen. Durch den Verlust sind wir zusammengerückt und wollen uns noch mehr für das Land einsetzen und Verantwortung für die Prosperität von Oman übernehmen.

    Abeer Al Mujaini, Co-Founder Psychology of Youth

    Ich habe erst nach und nach realisiert, dass es sich mehr oder weniger um einen sechs wöchigen Stillstand handelte. Die ewige Dankbarkeit, dass es diese Persönlichkeit im eigenen Land gab, der achtsame Umgang miteinander und die spürbare Bescheidenheit haben mich sehr beeindruckt. In dieser Zeit dabei gewesen zu sein, wenn auch nur als Gast, habe ich als Privileg erlebt. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass es für mich, die in diese Kultur nicht hineingeboren wurde und nur teilweise verstand, was passierte schwer zu tragen war. Auch wenn ich den arabischen Grundsatz: “Geduld ist schön” als Lebensziel übernommen habe, hat meine europäische Seele unter dem absoluten Stillstand gelitten. Mein Respekt vor den Omanis ist dadurch noch gestiegen. Es fällt mir recht schwer, das Erlebte in Worte zu fassen, die hier lebenden AusländerInnen, mit denen ich in dieser Zeit Kontakt hatte, haben es ähnlich mitfühlend erlebt. Sich selbst für einen höhere Sache völlig zurück zu nehmen und in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, habe ich in dieser Intensität noch nicht erlebt. Diese Trauer hatte etwas Ehrliches und Schönes.

    An alle Talente im Land

    Letzte Woche, also nach Beendigung der 40 tägigen Trauerphase, hat sich der neue Sultan Haitham ibn Tariq in seiner ersten Rede an das Volk gewandt. Er hat angekündigt, den Kurs der Renaissance fortzusetzen und gleichzeitig, wichtige Probleme angehen zu wollen. Er richtete sich an die Jugend und die Talente im Land, für die er gemeinsam neue Perspektiven eröffnen möchte. Das gehört sicherlich zu den größten Herausforderungen im Oman. Auch wenn es in breiten Kreisen der Bevölkerung unterstützt wird, erfordert es eine enorme Wandlung in den traditionell verankerten Gepflogenheiten und Lebensgewohnheiten.

    P.s. Der Stillstand im Land hat erstens dazu geführt, dass ich viel länger blieb als geplant. Das war gut verkraftbar. Zweitens hat es bedeutet, dass ich die Gespräche mit Talenten und Menschen im Oman, die Brücken bauen, erst kurz vor meiner Abreise nach Saudi Arabien durchführen kann. Es wird also noch ein bisserl dauern, bis ich die Podcasts auf safatalents.org veröffentliche. Sultan Qaboos zu Ehren. May his soul rest in peace.

  • Paradiesische Hölle

    Paradiesische Hölle

    Libanon – Tor in den Nahen Osten

    Her mit der Revolution!

    Überall die Libanesische Fahne, nicht als Zeichen eines übermäßigen Nationalstolzes sondern als Symbol der Einheit.

    Heute ist der fünfte Tag der andauernden Proteste in Libanon. Alles steht still, außer an den vielen Plätzen im ganzen Land, auf denen Kundgebungen stattfinden. Das ist das erste Verblüffende. Die Proteste gegen die Regierung konzentrieren sich nicht nur auf Beirut, sondern sie finden überall im Land statt und zwar über Konfessionsgrenzen hinweg. Das ist einzigartig, denn bisher gab es kaum einen Libanesischen Schulterschluß in der Bevölkerung und genau dieser findet gerade statt. In den großen Städten wie auch in den Dörfern mit zentraler Lage. Als in Tyr, im Süden des Landes, Sicherheitseinheiten der regionalen politischen Macht Amal gegen die Protestierenden los gingen und sie begannen einzuschüchtern, haben sich Protestierende in anderen Teilen des Landes solidarisch aufgezeigt. Niemand scheint mehr gewillt zu sein, die Unterdrückung und Tabus, die das Land so lange gelähmt haben, zu akzeptieren.

    Es ist eine andere Generation, die nach dem Bürgerkrieg aufgewachsen ist und die religiös-politische Aufteilung der Macht im Land als schädlich und blockierend empfindet. Alle sprechen davon, dass diese Aufteilung, die sich in der Verteilung der politischen Spitzenämter nach Religionszugehörigkeit widerspiegelt, das Land in den sozialen und wirtschaftlichen Abgrund geführt hat. Leider steht Libanon derzeit gerade genau da, denn die angekündigten Austeritätsmaßnahmen haben dazu geführt, dass das Faß übergelaufen ist. Eine Steuer auf Internettelephonate (whatsapp tax), die die bereits unmäßig teure Telefonie teilweise ersetzt, war das letzte Tüpfelchen.

    Wer mag schon in einem Land leben …

    Nichts gibt es, das hier einfach funktioniert wie in anderen Ländern. Kein öffentlicher Transport, kein sauberes Trinkwasser, tägliche Elektrizitätsstilllegung im besten Fall nur für drei Stunden wie hier in Beirut, während es in anderen Landesteilen bis zu zwölf Stunden sein können, wie zum Beispiel in Tarablus, der zweitgrößten Stadt im Land. Dazu kommt noch die Müllkrise, die hier überall wahrnehmbar ist weil sie riechbar und sichtbar ist und die Umweltverschmutzung, die man am eigenen Leib spüren kann. Ich könnte die Liste ergänzen, aber es macht keinen Unterschied, alles läßt sich darauf reduzieren, dass das Leben hier und die Menschen nicht mit Respekt behandelt werden. Es fehlt an Achtsamkeit gegenüber den alltäglichen menschlichen Bedürfnissen. Diese Form der Vernachlässigung und Geringschätzung ist so spürbar, dass es für eine Außenstehende wie mich kaum erträglich ist. Deswegen bin ich nicht gerne hier.

    Wären da nicht die Menschen, die aus der Misere Kraft und eine beeindruckende Kreativität schöpfen, die es in saturierten Regionen nicht gibt. Und die berauschend schöne Landschaft, die alles beinhaltet von Meer und Küste über die fruchtbaren Täler bis zu den Bergen und Skigebieten, und das kulturelle Erbe der Phönizier und ihrer NachfolgerInnen. Eigentlich ein Paradies, genauso hat es mir die junge Kellnerin, die aus Tarablus stammt, gerade gesagt, mit dem Zusatz: “Sie haben es zerstört und uns bestohlen!” Das habe ich von vielen dieser Tage gehört und es wirkt sehr nachvollziehbar.

    Feuer am Dach

    Es wurde viel Geld in dieses Land gepumpt, alles ist versickert. Selbst als vor zwei Wochen die Waldbrände losgingen, die wie in vielen Mittelmeerländern jedes Jahr aufgrund der Trockenheit entstehen, war man diesmal auf griechische und zypriotische Hilfe angewiesen, weil die Ausrüstung nicht gewartet war, angeblich kein Geld dafür zur Verfügung gestellt wurde. Nur wo ist das Geld? Die Ausrüstung mit Helikoptern wurde gespendet. Beim Warten auf ausländische Hilfe sind riesige Waldflächen und viele Häuser abgebrannt. Die Ministerien haben sich gegenseitig den schwarzen Peter zugespielt, eine peinliche öffentliche Zurschaustellung offensichtlicher Unfähigkeit und Korruption.

    The power of the people is stronger than the people in power!

    auf einem Transparent geschrieben

    Am Wochenende bevor die Proteste losgingen, saß ich am (kontrollierten) Lagerfeuer in den Wäldern außerhalb von Beirut mit engagierten jungen Menschen zwischen 25 und 35 Jahren. 1/3 von ihnen überlegte auszuwandern, weil sie keine Perspektiven sehen und keinen Job finden trotz guter Ausbildung. Die anderen wollten weiter kämpfen, aber wußten auch nicht, wie lange sie sich das leisten können. Alle leben auf Pump oder von der Hilfe der Diaspora, um das Leben, das täglich teurer wird, zu bewältigen. Jede/r von ihnen ist zivilgesellschaftlich engagiert, um Veränderungen herbeizuführen, mit mehr oder weniger Erfolg. Als Europäerin fand ich in den Gesprächen ausreichend Stoff für Depressionen und Panikattacken, aber die Menschen hier haben Galgenhumor, und sie verstehen es zu feiern als gäbe es kein Morgen. Wie wahr, denn morgen war alles anders. Kollektiver Aufbruch!

    Systemwechsel mit starken Frauen

    It is a very unusual way to ask for your rights with songs and bad words and music and parties …

    Kommentar einer Aktivistin

    Ich gehe jeden Tag zu den Protesten in Beirut, um die Stimmung zu verfolgen und meine kleine emotionale Unterstützung zu zeigen. Es wäre nicht Libanon, wäre es nicht auch eine große Party. Alle Generationen und Geschlechter sind aktiv, die diversen politischen Gesinnungen und religiösen Hintergründe sind repräsentiert. Und seit Freitag sind es jeden Tag mehr, alle sind sich einig: “the civil war ended on Oct 17, 2019.” Die Kämpfe wurden vor fast 30 Jahren beendet, aber so fühlt es sich für die Menschen hier an. Sie möchten nicht eine neues Reformpaket an das keine/r glaubt, sondern einen Systemwechsel.

    Mir ist aufgefallen, dass besonders viele Frauen präsent sind, auch unter den AktivistInnen und SpeakerInnen. Sie tragen viel dazu bei, dass die Proteste bisher bis auf Ausnahmen, die sofort öffentlich gemacht wurden, nicht in Gewaltakten mündeten. Sie bringen ihre kleinen Kinder mit und kämpfen für die Interessen ihrer älteren Kinder, es geht um die Zukunft. Frauen haben im Libanon eine schwierige Stellung, obwohl sie in der sozialen Begegnung sehr stark wirken. Das Land liegt nur auf Platz 138 von 145 Ländern im World Economic Forum’s 2015 gender gap and labor participation assessment. Sie können in diesem Kampf nur gewinnen und viele von ihnen wollen die Chancen an vorderster Front nutzen. Sie alle rufen: ثورة Revolution!

    Road is closed for the country’s maintenance.

    auf einem Transparent bei einer Straßenblockade

    Das ist auch meine Realität. Natürlich bin ich solidarisch und freue mich, wenn die Proteste den ersehnten Wechsel und die Veränderungsimpulse bringen. Tatsache ist aber auch, dass in einem Land am wirtschaftlichen Abgrund seit Tagen alles still steht – vom öffentlichen Dienst, Schulen, Universitäten bis zu den Banken ist alles geschlossen und es ist unabsehbar, wie rasch sich das ändern wird. Ich hatte zwei Gesprächstermine, einen südlich und einen nördlich von Beirut. Keiner davon ist erreichbar aufgrund der Straßensperren. Schön langsam wächst auch die Sorge, ob alles friedlich bleiben wird, oder andere ungewollte Kräfte den gut Gemeinten das Zepter aus der Hand nehmen könnten. Aber viele meinen hier, dass es nicht mehr schlechter werden kann und die positive Energie ist berauschend. let’s hope for the best!

    Jeden Tag und die ganze Nacht wird am Märtyrerplatz mitten in Beirut protestiert und gefeiert

    Es wären nicht die Libanesinnen würden sie nicht diesen Anlass für National-Styling nutzen

    Fast 30 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs haben die Menschen für sie gesperrte Gebäude und Zonen zurück erobert. Hier das Nationalsymbol “Ei” in Beirut.

  • Oman Land of Peace

    Eine außergewöhnliche Tour – unterwegs mit einer Mission

    Eine Truppe von 25 Omanis (Männer aus dem Oman) möchte sich einen Traum realisieren. Sie werden von Muscat aus mit ihren Autos starten und in 26 Tagen durch den Iran und die Türkei nach Europa fahren. Die Reise endet in London, wo sie ihren Renaissance Day am 23.Juli begehen werden. Die Gruppe möchte die touristischen, historischen und kulturellen Ressourcen von Oman vorstellen. Sie haben dafür Österreich und die Schweiz ausgewählt, weil sie zu diesen Ländern eine Verbindung in ihrer friedensstiftenden Rolle sehen. Der Oman wird oft auch als die Schweiz der arabischen Welt bezeichnet, weil es in diesem großen uns relativ unbekannten Land auf der arabischen Halbinsel seit Jahren keine kriegerischen Verwicklungen gibt. Im Gegenteil, Sultan Qabus Ibn Said, ein mächtiger Mann mit politischem Gewicht in der Region und darüber hinaus, ist bekannt für seine Vermittlungsbemühungen bei internationalen Auseinandersetzungen wie zum Beispiel zwischen dem Iran und Saudi-Arabien oder dem Nachbarn Jemen. Der Oman verfolgt seit vielen Jahren eine Nichteinmischungspolitik nach Außen und im Inneren wird mit der Einschränkung einer autoritären Monarchie Toleranz gelebt. Das spürt man, sobald man omanisches Territorium betritt, selbst wenn man nur von den Vereinigten Arabischen Emiraten kommend über die Grenze fährt.

    Immer wieder Oman

    Ich bereise den Oman seit vielen Jahren. Mein Einstieg begann mit einer Wüstenwanderung in der größten arabischen Sandwüste der Ruba al Khali im Süden des Landes. Der Grund für meine zahlreichen langfristigen Aufenthalte liegt nicht nur in der Schönheit und kulturellen historischen Strahlkraft des Oman, sondern vor allem auch an seinen respektvollen Menschen und dem wertschätzenden Klima, das einem dort vielerorts begegnet. Das land of peace hat in den letzten Jahren auch auf touristischer Seite neue Wege eingeschlagen. Der Oman ist kein Massenziel für Touristen. Das Land zieht Menschen an, die in Ruhe in die Kultur eines arabischen Landes eintauchen möchten. Dabei genießt man, sich völlig frei selbst mit dem Mietwagen oder Campingbus bewegen zu können. Das Land ist groß und man erfährt kaum Einschränkungen in der Platzwahl ob mitten in den Bergen, am Meer oder in der Wüste.

    Eintauchen in die Kultur und Schönheit Omans

    Schönheit heißt auf arabisch tschamil und das Kamel heißt tschamal. Wer die Omanis und ihre Liebe zu diesen Tieren kennt, wundert sich nicht, dass die Schönheit ihren Ursprung darin findet. Kamele gibt es noch zur Genüge, denn jeder Omani möchte zumindest ein Kamel besitzen, aber beladen und geritten werden sie nicht mehr.

    Um das Land kennen zu lernen, empfiehlt es sich, im Norden zu beginnen. Maskat ist meistens der Ausgangspunkt, um die Wadis, die von den massiven Bergen zum Meer führen zu erkunden. Manche davon sind steinige Aufstiege in bergige Höhen, andere verbergen eine Oase mit Palmen und türkisblauem Wasser und enden an einem Wasserfall. Es gibt unzählige Wadis unter denen man auswählen kann und jedes hat seinen individuellen Charakter. Die Berge dahinter, vor allem der Jebel Akhdar, grüner Berg und der Jebel Shams, der Sonnenberg sind mächtig und an ihren Abhängen thronen Burgen mit historischem Hintergrund. Sie ermöglichen bezaubernde Ausblicke und Wanderrouten führen zu kleinen Dörfern mit ihren Rosenterrassen. Sie blühen im April und ihre Essenzen werden für das berühmte Rosenwasser und die Parfums destilliert. Nahe bei Maskat kann man die noble Parfumfabrik Al Amouage besichtigen. Besonders im Sommer, wenn es in den Tälern unerträglich heiß wird, packen die Omanis die Familie und fahren in die angenehme Kühle der Berge. Dort sieht man sie dann zahlreich picknicken und die Landschaft bewundern. Zu Fuß oder am Fahrrad unterwegs sind nur TouristInnen. In den Bergen liegt die alte ehemalige Hauptstadt des Oman. Nizwa war lange Zeit das Widerstandsnest der Berg-Sippen, die sich nicht in ein Groß-Oman einfügen wollten. Davon zeugen heute noch die Burg und die Anlage der Stadt. Sie hat sich ihr traditionellen Charakter bewahrt und an den Ausläufern der Berge rund herum finden sich noch verlassene, im alten Stil erbaute Dörfer.

    Den Sternen nah in der Wüste

    Richtung Vereinigte Arabische Emirate findet man in den Bergen interessante archäologische Funde wie zum Beispiel Bienenkorbgräber, die aus der Bronzezeit herrühren. In Richtung Osten hingegen stößt man an die kleinere omanische Wüste, die Wahiba. Wenn man keine große Expedition vorhat, kann man dort in den Wüstencamps erste Wüstenerfahrungen sammeln. Man taucht in die Leere und Stille einer anderen Welt ein und erlebt umwerfende Sonnenauf- und -untergänge. Auf einer Düne sitzend und in die Weite hineinschauend, bekommt eine Vorstellung davon, wie der Oman und seine Menschen zu ihrer Ruhe als land of peace gefunden haben.

  • Touch Down Iran – Landing in Teheran

    Landing in Teheran, Megacity

    Blick von unten auf den Milad TurmChaos, Dreck und eine abgewohnte Stadt haben mich empfangen. Ich war schnell entnervt, als sie mir im Hotel, das ich mühsam per email vorreserviert hatte, mitteilten, es gebe doch kein Zimmer für mich. Die Alternative, die sie mir drei Straßen weiter zeigten, war einfach untollerierbar. Ohne Internet-Buchungssysteme sind wir nicht mehr gewohnt zu reisen, vor allem in einem Land mit fehlendem Individualtourismus. Im Iran ist fast alles anders. So viele Unbekannte und Ungereimtheiten haben mich am ersten Tag, mit dem gesamten Reisebudget für drei Wochen in bar am Körper, verunsichert. Heute fühlt es sich anders an, kein Ärger mehr, aber eine gewisse Unsicherheit ist noch da. Stundenlanges Laufen verunmöglicht mein beeinträchtigtes Knie. Ich muss mich zwischendurch hinsetzen und das Bein hochlagern, was schwierig ist, weil es in so einer großen Stadt nicht viele Sitzgelegenheiten gibt. Vor allem aber ist es völlig unpassend und unschick für eine Frau, ihr Bein in die Öffentlichkeit zu halten.

    Eine neue Dimension

    In der Früh habe ich vor dem Museumskomplex auf einer der raren Bänke mein Telefon liegen gelassen. Ein Mädchen ist mir weit nachgelaufen und hat es mir gebracht. Sehr freundlich. Überhaupt, die Frauen hier, eine neue Dimension. Sie sind aufmerksam, ermunternd, manchmal sogar keck, jedenfalls offen, zugänglich und interessiert. Eine Frau hat mitten auf der Straße mit mir persisch zu sprechen begonnen und dabei wie selbstverständlich die ganze Zeit meine Hand gehalten. Eine Wohltat für die Frauenseele, nachdem ich auf meinen Reisen im Nahen Osten auch unsolidarische Erlebnisse mit Frauen hatte. Auf der Straße laufen nichts desto trotz vorwiegend Männer herum, sie wirken locker und umgänglich und sie starren. Nicht nur, wenn mir wieder einmal der Schleier verrutscht. Ich verstehe das nicht, scheine auf Teherans Straßen die einzige mit diesem Problem zu sein. Schon bei der Ankunft am Flughafen, am Weg vom Visumschalter zur Passkontrolle, entglitt mir das Tuch. Auf einmal fühlt man sich nackt, schuldig und ausgeliefert, ob jetzt vielleicht irgendjemand kommt und sich beschwert oder die Moralpolizei eingreift. Es stresst mich, ständig greife ich mir auf den Kopf und immer wieder ist da nichts.

    Dicke Tropfen prasseln herunter, Gewitter aber heute kein Hagel, obwohl die Berge im Norden bis tief hinunter schneebedeckt sind. Bei meiner Ankunft gestern war alles grau verhangen. Auf meine Frage nach dem Warum, habe ich vom Fahrer keine richtige Antwort bekommen. Nachdem die Perser sehr stolz sind, habe ich beim Thema Umweltschutz nach einiger Zeit nicht weiter nachgebohrt. Es waren aber eindeutig keine Regenwolken oder Nebel, sondern Smog. Die Luft im Stadtzentrum schneidet mir die Kehle zu, fast scharf kommen einem die Abgase und sonstige Verschmutzungen entgegen. Bei sechzehn Millionen Einwohnern und untertags angeblich an die zwanzig Millionen Menschen, viele davon im Auto, ist das nicht weiter verwunderlich.

    Wie hält das Ding am Kopf?

    Neues Tuch, selber Stress. Ich muss die nächste Iranerin Kopftücher drapiert auf Puppen im Sukansprechen, wie sie das machen. Ich starre schon ziemlich unverschämt, habe aber noch keine Hilfsmittel ausgemacht! Auf der Fahrt hier her, meine erste U-Bahnerfahrung im gemischt-geschlechtlichen Abteil, habe ich einige Nosejobs gesichtet und zwar sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Ich wusste vorher, dass es sehr viele Nasenkorrekturen und Schönheits-OPs in diesem Land gibt, aber das Pflaster ist überall und es wird mit Stolz getragen.

    Heute im Cafe Naderi nachdem es gestern bereits geschlossen war. Von einem Armenier vor 100 Jahren gegründet, heruntergekommener Charme, der mich zum Schreiben und Verweilen einlädt. Guter Cafe, unglaubliches Service. Fünf Männer, die herumstehen, meist gemeinsam und sich nicht scheren. Keine Aufmerksamkeit. Getestet nicht nur mir gegenüber, sondern an diesem Tag generell, wird hier nicht bedient, eher wird zwischendurch etwas an den Tisch gebracht. Sehr schnell im Vergleich dazu, und vor allem unaufgefordert, die Rechnung. Ein großes fast leeres Cafe, so soll es wohl auch bleiben.

    Jetzt habe ich gefragt: wie hält das Ding am Kopf? Simin, eine moderne junge Frau, die glücklicherweise Englisch spricht, sagt: ohne Hilfsmittel und es hält nicht. Wobei ich keine sehe, die so rumwurschtelt wie ich. Kein Spray, keine Haarnadeln, einfach jahrelange Übung und die Gelassenheit der schönen Frauen hier!

  • Jordaniens Leid und Freud

    Die aktuellen Ausschreitungen in Jordanien wundern niemanden, der in den letzten Jahren Zeit dort verbracht und erlebt hat, unter welchem Druck und finanziellen Nöten die Bevölkerung steht. Aus aktuellem Anlass: https://de.qantara.de/inhalt/proteste-in-jordanien-kein-schritt-zurueck

    Biblische Schwere und Sehnsuchtsplätze

    Ich fühle mich Jordanien sehr verbunden. Ich habe Plätze gesehen und erlebt, die mich in außerordentlicher Weise berührt haben. Jordanien ist ein biblisches Land, die meisten Plätze haben einen Bezug zu den ältesten Geschichten, die über die Bibel oder die Thora berichtet werden. Ich habe mit Erschrecken festgestellt, über wie wenig Wissen ich diesbezüglich verfüge und habe es genossen, von einer Jüngerin Jesu nicht nur mit höchst abstrusen Verschwörungstheorien und biblischen Vorhersagen versorgt worden zu sein, sondern durch sie auch einige der überlieferten Geschichten in Zusammenhang zu bringen. Das erkennt man nicht nur daran, dass sich einige ziemlich durchgeknallte westliche Menschen in Jordanien aufhalten, sondern auch daran, dass sich von Lot’s Höhle über Jesus’ Taufstelle (die es natürlich sowohl auf israelischer wie auch auf jordanischer Seite des an dieser Stelle vielleicht 2 m breiten Jordan gibt), bis zum Berg an dem Moses gestorben ist, so vieles zwischen Palästina und Jordanien abgespielt hat. Der Platz am Toten Meer, an dem Salome für Herodes getanzt hat und Johannes seinen Kopf eingebüßt hat, hat es mir besonders angetan. Wenn schon für einen Herrscher tanzen, dann dort. Um Qais, die römischen Ausgrabungen an der Grenze zu Syrien und Israel mit Blick auf den See Genezareth und die Golanhöhen, hat mich in einer Weise berührt, die ich kaum beschreiben kann. Sollte ich wieder nach Jordanien fahren, dann wird dieser Ort sicher Teil davon sein so, wie die Wüste in Wadi Rum, die beide Sehnsuchtsorte von mir geworden sind.

    Petra, Jordantal, Um Qais

    Zu wenig zum Leben ….

    Und all das wurde mir dann eines Tages zu viel, ich hatte das unbedingte Gefühl, die unglaubliche Schwere abschütteln zu müssen. Alles ist aufgeladen, es war für mich nichts Leichtes mehr dabei. Das spürt man vor allem in Amman, wo sich die politische Dimension in den Vordergrund schiebt. Die Jordanier sind bald die Minderheit im eigenen Land. Palästinenser, Iraker, Syrer sind in Amman allgegenwärtig und das in einem Land, das selbst zu wenig Wasser, Strom und im Grunde von allen Ressourcen hat, die man für das tägliche Leben braucht. Vor allem auch Geld, das unter anderem dringend nötig wäre, um die Belastungen durch die massive Umweltverschmutzung zu reduzieren. Die Gehälter, ich weiß es konkret von jungen Ärzten, sind so niedrig, dass man sich kaum vorstellen kann, wie sie sich das sehr teure Leben leisten können. Ausgenommen mein allerdings nicht mehr junger Arzt, der einer meiner wichtigsten Begleiter in Jordanien wurde. Er hatte trotz Warnung einen 19 Meter hohen geschmückten Christbaum im Garten. Die Ressentiments zwischen jordanischen Christen und Muslimen nehmen leider zu und führen dazu, dass einige von ihnen das Land verlassen.

    Die Flüchtlinge in Jordanien, die nicht von der UN versorgt werden, sind auf sich selbst gestellt, weil Jordanien nicht einmal für die eigene Bevölkerung ausreichend Geld hat. Man begegnet sehr vielen Menschen, die in irgendeiner Weise traumatisiert sind und kaum Möglichkeiten haben, dies zu verarbeiten. Es legt sich wie eine Schicht von konstantem Stress über das Land und alle warten darauf, ob das System kollabiert. Absurderweise hatte ich das Gefühl der Erleichterung, als ich Zarka, eines der größten Flüchtlingscamps für SyrerInnen in Jordanien endlich vor Augen hatte. Selbst der Anblick aus der Ferne auf die Zeltstädte hat geholfen, vieles von dem was immer da ist aber nicht angreifbar war für mich, endlich zu realisieren.

    Abschied

    Ich habe in Jordanien viel gelernt und möchte die Erfahrung nicht missen. Der fromme und nette Guesthouse Besitzer im wunderschönen Nirgendwo des Jordantals dessen erste Gäste wir seit vier Monaten waren, hat es so formuliert: „you cannot only pick the sweets, you must take the whole box“. Er hatte eine aufgeschlossene Tochter, mit der wir ein interessantes Gespräch führten. Er macht es also irgendwie richtig.

    So hat es sich bei meiner Ankunft angefühlt: Ankunft in Jordanien – Ramadan kareem

    Wadi Rum

  • Sprechen Sie hebräisch?

    Bereits an der Grenze haben mich Soldaten darauf aufmerksam gemacht, dass ich einen jüdischen Namen habe. Ganz ehrlich, das ist mir nie in den Sinn gekommen, obwohl es ja auf der Hand liegt. Das musste erst einmal sickern. Als ich dann in Tel Aviv war, wurde ich ständig auf der Straße hebräisch angesprochen. Ich dachte, das wäre normal, bis mich jemand darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich jüdisch aussehe. Nun gut, das war dann doch eher neu für mich. Als ich es meiner Landlady in Amman später erzählt habe, gestand sie mir, dass sie sich das auch gedacht und sich Sorgen gemacht hatte, da sie in diesem Fall als NGO arabische Unterstützung verlieren könnte.

    Vom Mittelmeer zum Roten Meer durch die Wüste

    Tel Aviv und Jaffa sind so etwas wie twinCities, sie liegen direkt nebeneinander. Die eine jung, modern, dynamisch, sprühend mit Kunst und new business, die andere welkt in ihrer alten arabischen Schönheit dahin und bildet mehr die malerische Kulisse vor dem Meereshorizont.

    Auf meinem Weg von Jaffa über die Negev Wüste nach Eilat war ich mit dem Zug und Bussen unterwegs. Die meiste Zeit war ich die einzige zivile Reisende und sonst umgeben von jugendlichen SoldatInnen mit Gewehren am Schoß und einer eigenartig geladenen Stimmung an Board. Zum Glück gibt es Mobiltelefone, sonst hätte mich die Sprachlosigkeit dieser jungen schwer bewaffneten fadisierten Menschen noch nervöser gemacht. Drei Jahre mit Rüstzeug in der Wüste herum zulaufen ist sicher nicht lustig. Von Mitzpe Ramon, auf der Spitze eines beeindruckenden Wüstenkraters nach Eilat gibt es nur einen öffentlichen Bus, in den ich im Nirgendwo ziemlich naiv eingestiegen bin, um mich am Boden sitzend zwischen SoldatInnen wieder zu finden, die in neun unterschiedliche Militärcamps am Weg gebracht wurden. Die Vorstellung, für eine Jüdin gehalten zu werden fand ich in diesem Moment übrigens unglaublich entspannend, vor allem als ich beim Panzer Camp 20 Minuten auf den nächsten Shuttle warten musste.

     

    Nach diesem Trip war ich so erleichtert, wieder über die jordanische Grenze zu dürfen, dass ich dem ersten Soldaten fast um den Hals gefallen wäre. Vor allem nachdem er erfahren hat, dass ich in Jordanien arabisch studiere und daraufhin die Grenzsoldaten aus dem Büro zusammengelaufen sind, um mich herzlich willkommen zu heißen: Ahlan wa sahlan! war ich echt gerührt und bin erhobenen Hauptes auf die wartenden Taxifahrer zugesteuert, um die Verhandlung zu eröffnen.

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  • Flucht nach Israel

    In Bethlehem dominieren neben der acht Meter hohen Mauer, die mitten durch die Stadt schneidet die religiösen Stätten eingehüllt in eine befremdliche touristische Nebelwand. Busweise werden Menschen herangekarrt, auf der Suche nach biblischen Schau-Plätzen und christlichen Ursprüngen. Es herrscht eine Energie, die mich in einen latent nervösen Zustand versetzt hat und ich kämpfte permanent gegen mein Bedürfnis, mich den Gewaltphantasien nicht auszusetzen und zu fliehen. Bethlehem ist aufgrund der Mauer mit den Wachtürmen so extrem, dass ich die ganze Zeit das Gefühl nicht los wurde, Statistin in einem der alten Nazi Filme zu sein.

    Der immanent spürbare religiöse Fanatismus von Christen, orthodoxen Juden und Muslimen machte auch Jerusalem für mich zu einer Stadt, in der mir ständig übel war. Abgesehen davon, dass an jeder Ecke ein Maschinengewehr mit jugendlicher/m SoldatIn steht. Ich habe die Al-Quds University in Ostjerusalem kennengelernt, die direkt an der Mauer liegt. Der Plan der Israelis war, die Mauer durch die Universität zu ziehen und sie damit tot zu machen. Glücklicherweise hatte die Uni damals einen kampfstarken Philosophen als Rektor und mit Barack Obamas Hilfe, der während seines Ph.D. Studiums dort war, konnte der Plan abgewendet werden. Die Mauer verläuft jetzt genau rund herum, und man kann nicht an die Uni ohne einen Checkpoint zu passieren. Ein Freund von Mohammad hat mir auch die Uni in Bethlehem gezeigt, dort ist die Situation ein wenig entspannter, weil der Vatikan involviert ist. Ich hatte kurz überlegt, an einer der Unis mein Sprachenlernen fortzusetzen, aber trotz der wunderbaren Menschen, die ich dort kennen lernte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, mich dieser repressiven Situation auf Dauer auszusetzen. Mein Ausflug zu den schönen Märkten und den grünen Randbezirken Jerusalems hat an diesem Gefühl wenig geändert.

    Nach all diesen Erfahrungen habe ich mich entschieden durch Israel zu fahren, da es mir immer schwerer gefallen ist, den Rassismus – und etwas Anderes ist es nicht in meinen Augen – zu verstehen und diesen nicht auf die Menschen zu übertragen. Ich muss ehrlich sagen, dass es mich körperliche Anstrengungen gekostet hat, mich in den Bus nach Tel Aviv zu setzen. Ich bin aber sehr froh darüber, den Schritt gemacht zu haben, denn Tel Aviv ist eine völlig andere Welt mit coolen Typen, Beach, New Business, Bauhaus, e-bike und e-board FahrerInnen – eine heilsame Gegenwelt zu Jerusalem. Ich war zunächst einmal völlig überfordert, habe zum ersten Mal seit drei Monaten ein kurzärmeliges Shirt angezogen und schöne Menschen dabei beobachtet, wie sie ihre Rassehunde am trendigen Boulevard Gassi geführt haben. Ich habe einige interessante Menschen kennen gelernt und konnte ein differenziertes Bild für mich entwickeln. Dazu gehörte auch ein Druse im Wüstencamp der Negev, der arabischer Herkunft ist aber mit einer Jüdin zusammenlebt, obwohl das gegen alle Anstandsregeln in seinem Heimatdorf verstößt. Nicht so sehr, weil sie Jüdin ist, sondern wegen dem vorehelichen Sex. Alles scheint hier so komplex und historisch verstrickt, dass ich mich immer wieder gefragt habe, was hier ein normales Leben sein kann.

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  • Eingesperrt in der Westbank

    Mein letzter Palästinabesuch hat mich nachhaltig beschäftigt und nicht losgelassen. Es war klar, dass ich da wieder hin muss – trotz oder gerade, das weiß ich selber nicht so genau. Dieses Mal war ich vier Tage in einem palästinensischen Flüchtlingslager nahe Hebron. Ich bin durch meinen sehr geschätzten Arabischlehrer hingekommen, da sein Doktorvater dort lebt. Das Lager besteht seit der ersten großen Vertreibung 1949 und aus den Zelten sind längst Häuser geworden. Es gibt in Palästina einige solcher Lager, die man zunächst als Stadtteil wähnt, aber sie sind besonders. Es gibt keine richtigen Straßen, da die Wege zwischen den Häusern nicht groß genug sind, daher auch keine Autos, schlechte Versorgung und im Falle des Camps, in dem ich gewohnt habe, leben 14.000 Menschen aufgefädelt auf einem Kilometer. Da es keinen Platz gibt, wird nach oben aufgestockt, wodurch es bei Mohammad in der Kleinwohnung zum Beispiel kaum Tageslicht gibt. Die Israelis haben sichtlich nicht damit gerechnet, dass die Menschen in den Camps ausharren und sich weiter vermehren. Auch in der palästinensischen Gesellschaft sind sie Menschen zweiter Klasse, weil sie Besitzlose sind. Im Arabischen muss man ein Haus haben; das kommt in seiner Bedeutung gleich nach der Familie.

    Als ich ankam, war Mohammad noch nicht da und ich habe zwei Stunden bei seiner Familie verbracht. Sehr originell, weil keiner der Anwesenden Englisch sprach und mein Arabisch dort gerade mal als Pausenfüller reichte. Ein zahnloser sehr freundlicher Herr und ich hatten einen zwar wortarmen aber sehr intensiven Austausch und wir haben uns gegenseitig ins Herz geschlossen. Später stellte sich heraus, dass er ein Bruder ist, der in Bethlehem am Bau arbeitet. Er versteht viel und hat ein großes Herz, ich hatte also meinen ersten Vertrauten im Camp. Dann kam Mohammad, den ich ja gar nicht kannte, und der eine Ausländerin bei sich wohnen ließ, das ist ja doch außergewöhnlich hier. Aber nicht für Mohammed, denn er besitzt nicht nur einen großen Geist, sondern ist auch ein überzeugter und überzeugender Humanist. Innerhalb dieser vier Tage hat er mir viel über sich und die Geschichte seiner Familie erzählt. Ich konnte ihm, so wie vielen anderen, im Wesentlichen nur zuhören und weiß ehrlich gesagt nicht, wie man so ein Leben aushält.

    Mohammed spricht vier Sprachen und wir haben uns in einer Mischung aus arabisch, spanisch und englisch unterhalten, da ich hebräisch nun aber wirklich nichts zu sagen wußte außer Shalom. Fast jeder, der uns im Camp begegnet ist, saß zu irgendeinem Zeitpunkt in einem israelischen Gefängnis, wobei das Camp nicht zu den aufrührerischen zählt. Die Menschen wirken eher resigniert. Mohammed sagte zu einem Zeitpunkt: “wenn du in der Westbank lebst, bist du immer in einem Gefängnis entweder in einem kleinen oder in einem großem aber du bleibst eingesperrt”. Und das stimmt, denn als Palästinenser hat man keine Bewegungsfreiheit, Mohammed darf nirgends außerhalb der Westbank hinreisen, außer nach Jordanien. Seit 2001 darf er nicht einmal mehr nach Jerusalem, so wie jeder unverheiratete Palästinenser. Jeden Abend um 20 Uhr kommt ein israelisches Polizeiauto und sperrt das Haupttor zu. Man kann dann zwar trotzdem noch nach Hause, aber nur über Umwege, und das trifft auf viele der israelischen Maßnahmen zu, die dazu dienen, das normale Leben enorm zu erschweren. In der Früh, wenn die Kinder in die Schule gehen und dabei die Hauptstraße überqueren müssen, wird die Straße für Araber gesperrt, damit die jüdischen Siedler schneller durchfahren können. Manches wirkt einfach unfassbar zynisch, aber es gibt schon lange keine Änderungen, die zu einer Verbesserung führen würden.