Category: Wüstenwandern

  • Playdoyer für das Wüstenwandern (2)

    ein, zwei, drei, vier, fünf Sinne

    Das Erleben der Wüste ermöglicht die Erfahrung der Leere und der Weite, des Sternenhimmels in der Nacht und der unberührten Natur. Wir werden konfrontiert mit uns selbst, ein Spiegel der Seele wird uns vorgehalten durch die Reduktion jeglicher Außenimpulse, seien es Lärm, visuelle Reize, Licht wenn es eigentlich dunkel ist, Kontakte mit anderen und soziale Anregungen. Auf diese Weise wird einem wieder nähergebracht, was wirklich wichtig ist, und was nicht. Demut und Respekt vor dem Leben, der eigenen Machbarkeit. Unser Wach-Schlafrhythmus passt sich der Natur an. Wir gehen bald nach Dunkelwerden schlafen, wachen spätestens mit dem Sonnenaufgang auf und erleben dabei, wie sich der eigene Rhythmus mit dem Licht verändert. Innere Wünsche, vielleicht tief verborgen, werden wiederbelebt, weil auf einmal Raum dafür da ist. Unsere fünf Sinne werden in ihrer Gesamtheit angesprochen, eben weil nicht einer alleine ständig überbeansprucht wird. Das Gefühl, wenn feiner Sand durch die Finger rieselt, barfuß gehen auf einer Dünenkante, der Sonnenuntergang mit dem Hereinbrechen plötzlicher Dunkelheit oder die Wärme des Feuers in der kalten Nacht und die vollkommene Stille …

    Vieles berührt, das sonst untergeht und die Sensibilität wird wieder geschärft. Das Gehen, im Sand zählt jeder Schritt, erhält eine meditative Wirkung, die sich in einer Landschaft der Weite und des ewig-gleichen Horizonts noch verstärkt. Es erzeugt die Ruhe, in sich zu kehren, ohne äußere Ablenkung. Für manche eine Bedrohung, für andere eine Chance, wieder zu sich zu kommen.

    Aus der Reduziertheit in eine neue Fülle

    Mein Lernen aus den Erfahrungen des Wüstenwanderns zeigt sich auf unterschiedlichsten Ebenen, die auf den ersten Blick vielleicht gar nichts mit der Wüste zu tun haben. Prioritäten ordnen sich neu, manches, das zuvor wichtig oder belastend erschien, erhält danach einen anderen Stellenwert oder verliert sein bedrohliches Potenzial. Diffuse Ängste können sich erhellen und auflösen, wenn sie dem konkreten Erleben gegenübergestellt wurden. Am meisten zählen für mich aber die neuen Horizonte, die sich auftun und neue Möglichkeiten aufzeigen, an die ich zuvor in meinen Routinen und dem Üblichen nicht gedacht habe oder nicht zu denken gewagt habe. Und danach, zurück in der Fülle, erscheint alles bunt, farbenfroh und lebendig.

    Emptiness is not nothingness

    Wüstenwandern ermöglicht auch Erfahrungen, die uns unserer Weisheit näher bringen. In manchen spirituellen Texten werden die Wüste oder ihre Begleiterscheinung als Parabeln herangezogen wie zum Beispiel in der Bibel. Barbara Rauchwarter schreibt in ihrem Buch “Genug für alle” im Zusammenhang mit dem Auszug der Juden aus Ägypten: “Kaum ein Ort macht den Schrecken von Raum so deutlich wie die Wüste. Denn sie ist wie leerer, endloser Raum. Sie läßt das eigentlich Räumliche, das Körperhafte vergessen. Vielleicht kann sie deshalb zu einem Ort der Gotteserfahrung werden. Gott sprengt alles Räumliche.”

    Die räumliche Erfahrung der Leere in der Wüste ermuntert dazu, diese auf unsere Existenz zu übertragen und zu reflektieren. Für die Buddhisten gilt: “emptiness is not nothingness it is the wisdom”. Thich Nhat Hanh erklärt das anschaulich und er sagt: “You (every person) are full of the cosmos but you are empty of a separate self. You are a lineage.”

     

    Zuletzt noch eine Warnung! Wer einmal einsteigt, der kommt nicht so schnell wieder los. In dem Artikel über das erste Mal in der Rub al-Khali beschreibe ich diese Erfahrung als imprint, die Wüste hat sich mir eingebrannt. Alfons Gabriel hielt Folgendes fest:

    …[die Wüste] Entsetzten bedeutet sie dem ihr Fremden ; unstillbare Sehnsucht zu ihr zurückzukehren, legt sie in das Herz dessen, der sie kennengelernt hat in ihren Herrlichkeiten und Schrecken. Eisern hält die Wüste den fest, der ihrem Bann einmal verfiel.

    Alfons Gabriel, österreichischer Arzt und Forschungsreisender, aus seinem Buch: Durch Persiens Wüsten, 1935

    Gute Reise!

     

    Wichtige Referenzen:
    Barbara Rauchwarter, Genug für alle, Biblische Ökonomie, 2012. Wieser Verlag
    Das Foto mit Weitblick stammt von Uta

    Zu Teil 1 der Überlegungen über das Wüstenwandern: Playdoyer für einen Sidestep aus der Komfortzone
    In den Berichten von den unterschiedlichen Touren gibt es mehr Wüstenphotos.

  • Playdoyer für das Wüstenwandern (1)

    Grenzen erfahren

    Sich in die Wüste begeben und diese zu durchwandern ist für durchschnittliche EuropäerInnen gewissermaßen eine Extremsituation. Bis zu 30 Grad Temperaturunterschied innerhalb eines Tages, Sandstürme und andere unerwartete Wetterereignisse, die Strapazen des Gehens in der Wüste und speziell auf Sanddünen, der Schutz des Körpers vor der aggressiven Sonne bei Tag und der Kälte in der Nacht, die hygienischen Limitationen, die eingeschränkte Verfügbarkeit von Wasser … ich möchte keine abschreckende Liste entwerfen, sondern nur aufzeigen, dass es sich hier um elementare Erfahrungen handelt, die an die menschliche Substanz gehen. Es sind Bedingungen, denen wir uns im Alltag niemals freiwillig stellen würden. Warum sich also so weit außerhalb der Komfortzone begeben? Nur um die Schönheiten der Natur zu entdecken und genießen?

    It’s not all about beauty …

    Die eigene Komfortzone zu verlassen ermöglicht ungewöhnliche Lernimpulse. Das persönliche Durchleben einer völlig fremden Situation, die starke Emotionen wie Angst oder Glücksgefühle auslöst, wirkt als Katalysator für eigene Verhaltensänderungen. Aus meiner Sicht bietet die Wüste jedem Lernenden einen perfekten Erfahrungsraum. Mir eröffnet das Erlebnis – zu Fuß unterwegs in der Wüste – jedes Mal von neuem außergewöhnliche Eindrücke.

    Komfort lass los!

    Die Reduktion auf Basisbedürfnisse und das Zurückstecken jeglichen Komforts zeigt mir klar die Begrenztheit meines Handelns und Wirkens auf. Für mich ist das eine heilsame Erfahrung, weil wir ja in unserer Kultur darauf ausgerichtet sind, alles und vor allem unsere Umwelt kontrollieren und planen zu können. Es wäre natürlich fatal, sich ungeplant der Wüste auszusetzen, es braucht viel und sorgsame Vorbereitung, um so eine Tour auf die Beine zu stellen, und dazu auch die richtige Begleitung. Aber sobald man in der Wüste ist, kann man nur mehr innerhalb des Ermessensspielraumes agieren. Und dieser entscheidet sich immer im gegenwärtigen Moment – dann, wenn man direkt damit konfrontiert wird. Der Fokus verschiebt sich auf das Sein und den aktuellen Moment Der Alltag zu Hause und das Außen verlieren sofort an Bedeutung und verschwinden so lange, bis man wieder in die Zivilisation zurückkehrt.

    Der Schutz des eigenen Körpers wird zur vordringlichen Aufgabe, denn das Übersehen von Details kann schnell sehr schmerzhaft werden. Eine gute Übung. Unter diesen Bedingungen kann man nicht wählen, sondern muss sich ständig um die Erhaltung der eigenen Körperfunktionen kümmern. Das Gelingen ist daher eine tiefe Befriedigung, denn das liegt wirklich in der eigenen Hand, das hat man tatsächlich selbst geschafft. Es tut gut zu erleben, dass so vieles „ohne“ möglich ist, also ohne Wasser zum Waschen, Toilette und ohne elektrisches Licht und Strom, Internet und jegliche Außenkontakte auszukommen. Selbstgewählte Unerreichbarkeit, wo ist das heute überhaupt noch möglich?

    Einer, der in der Wüste seine Grenzen ausgelotet und dafür sich selbst gefunden hat: Mubarak Bin London

    p.s. ein guter Test für eure Aufmerksamkeit: wer hat das Kamel am Bild entdeckt?

  • Dasht-e Lut (3): Die Wüste lebt

    Verirrtes Leben in der Dasht-e Lut

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    Spuren wilder Kamele

    Vermeintlich ist die Dasht-e Lut eine leblose Salzwüste. Unsere iranischen Begleiter bestätigen, dass die Menschen in Iran genau das noch immer glauben und sie daher außer Acht lassen. In der Vergangenheit zogen Karawanen durch diese Wüste, meist auf ihrem Weg von Afghanistan oder Belutschistan im heutigen Pakistan nach Persien und weiter in den Westen. Das weite Gebiet der Sanddünen wurde dabei gänzlich umgangen, da es für Menschen und Kamele mit den Lasten schwer begehbar war und das wenige Wasser salzig ist. Trotzdem gibt es Leben in jedem Abschnitt der Wüste.

    In den Sandmeeren gibt es verdorrtes niedriges Gras und Büsche, die grün werden, sobald Regen fällt. Das ist Futter für die Kamele, die an den Rändern der Sanddünen auch wild leben. Wir haben Kamele und Raben gesehen, Spuren von Mäusen und Schlangen, berichtet werden auch Skorpione. Interessant wurde es in den Kaluts, denn dort, in den magischen Steintälern mit ihren sandigen Verwehungen, gibt es keine äußeren Spuren von Pflanzen. In der Nacht, am Lagerfeuer haben wir trotzdem einen Wüstenfuchs dabei beobachtet, wie er um unsere Zelte schlich. Wir haben Skelette von Vögeln gefunden und es wird erzählt, dass sich die Wüstenfüchse von Zugvögeln ernähren, die sich verirren oder ausruhen wollen. Aufgrund des fehlenden Wassers werden sie zu einer leichten Beute. Dazu kommen noch Schlangen, Mäuse und Insekten. WissenschafterInnen sind gerade dabei, Flora und Fauna in der Dasht-e Lut zu untersuchen, bald werden sie ihre neuen Erkenntnisse veröffentlichen.

    Karawane der Vergessenen

    Babak hat sie entdeckt, die Überreste einer Karawane, mitten in den Kaluts. Die Stücke lagen verstreut, aber nahe beinander, sie waren gut sichtbar, hochwertig und über die vielen Jahre sehr gut erhalten. Ein Stoffmantel aus Jute, Socken, schöne gewebte Tücher, Sattelzeug von Kamelen, Tongefäße, von denen manche noch das restliche Pulver von Gewürzen oder Speisen enthielten. Es mutet eigenartig an, an so einem leblosen Ort vor langer Zeit hingeworfene Insignien menschlichen Lebens zu finden. Ist da nie jemand vorbei gekommen bzw. warum sind sie nie zurückgekehrt, um sich die Sachen zu holen? Sind sie gestorben, überfallen worden, haben sie sich verirrt und mussten alles abwerfen, was sie entbehren konnten, um schnell hinaus zu kommen aus dieser Wüste?

    Wenn man nicht als Archäologe, dessen Handwerk es ist, derartige Stücke zu kategorisieren und zu analysieren, auf solch einen Fund stößt, ist das zunächst einmal umwerfend interessant. Gleichzeitig löst es eine Mischung aus Demut und Respekt vor dem Verblichenen und dessen unbekannten Ursachen aus. Ohne zu wissen, was eigentlich passiert ist, sind diese Stücke aufgeladen mit möglichen letzten Emotionen wie Angst, Panik, Bedrohung, Erschöpfung, Ohnmacht, Wut. Diese möchte man sich nicht einfach so aneignen.

    img_9786-300x225-1860740Beim Lagerfeuer denken wir uns eine Geschichte für sie aus: Eine reiche Familie auf dem Weg von Afghanistan nach Persien ist vom Weg abgekommen. Sie stiegen ab, setzten sich zu einer Shisha zusammen und besprachen die Lage, dabei wurden sie überrascht, vielleicht ein Sandsturm ……. sie konnten mit ihren Kamelen entkommen, hatten das Wichtigste bei sich und sind – ohne Blick zurück – weiter gezogen.

     

    Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 von Magnitude meets Multitude in der Dasht-e Lut.

  • Dasht-e Lut (2): Magnitude meets Multitude

    In den Kaluts – Märchenschlösser bauen

    Nach den Megadünen kamen wir in ein Gebiet, das Mehrdad, der langjährige Kenner der Lut, Sterndünen nennt, da sie in ihrer Formation spitz zulaufend diesen ähneln. Dort beginnen die ersten Kaluts, noch kleine Gesteinsformationen, die wie Pilze aus dem Sand ragen. Von oben hat man den Eindruck, auf archäologische Ausgrabungen zu blicken, da sich abgegrenzte Gesteinsstrukturen von der Sandebene scharf abheben. Darunter befindet sich auch das riesige „Auge der Lut“, das vom All aus betrachtet, genauso aussieht.

    Je tiefer wir vordrangen, desto beeindruckender gestalteten sich die Gebilde und das Staunen wurde von Phantasien über Städte, Paläste, Burgen und großen Schiffsflotten angereichert. Mächtige Lehmformationen bilden Täler, die sich parallel verlaufend kilometerlang hinziehen. Sie wirken fast surreal, wie in einer Marslandschaft, outer space. Wind und Sand haben diese einzigartige Naturerscheinungen über die Jahre geschliffen. Ich war wie gebannt und wollte mich nicht mehr fortbewegen, sondern mein Zelt für einen unbegrenzten Zeitraum aufschlagen und mich durch die Straßen der unbewohnten Häuserschluchten aus Lehm treiben lassen.

    Im Tal der Könige sind wir über das Teufelspflaster zum Märchenschloss gelangt, das oben am Berg thronte mitsamt seinen verspielten Türmchen. In der Morgensonne sind sie auf eimal wie mächtige Hochseeschiffe hinter dem Felsen aufgetaucht.

    Der Weg hinaus – kein Stoff für Drogenschmuggler

    Von der Ebene (Dasht) fuhren wir mit den Autos durch ein trockenes Flussbett, das sich lange dahin schlängelte und sich dann zu einem Canyon ausweitete. Auf einmal fuhren wir im Wasser und neben uns sprießten Dattelbäume und grellgrünes Gras aus dem karstigen Boden. Es kam so plötzlich, das erste Wasser und Grün nach zehn Tagen durch die trockene Leere, so als wäre es selbstverständlich immer da gewesen.

    Von Keshid, einer verlassenen Stadt am Ausgang des Canyons, gelangten wir unvermittelt auf die erste Strasse, die aus der Lut hinausführt. Zurück in der Zivilisation musste sich die weibliche Besatzung wieder verhüllen. Nach zehn Tagen ungenierter Entblößung zogen wir Schleier und Mantel über unsere schmutzigen Wüstenoutfits. Wir starteten bei 200 und mussten über die Berge auf 2500 Höhenmeter hinauffahren. Am Weg ging uns das Benzin aus und wir gelangten stockend zum ersten Dorf. Dort brachten uns Einheimische bereitwillig ein paar Flaschen gefüllt mit Benzin. Tankstellen sind hier verboten, da keine Infrastruktur für die Drogendealer geschaffen werden darf. Wir befanden uns am Weg nach Kerman, einer Verbindungsroute von Afghanistan. Jetzt waren wir wieder in der Zivilisation angekommen, Menschen, die uns und unsere großen Autos verblüfft anstarrten. Zur Feier des Ausgangs gab es ZamZam, die iranische Variante von Fanta und Cola. Gekühlt!

    Hier geht es zu Teil 1 von Magnitude meets Multitude und Teil 3 Die Wüste lebt

  • Dasht-e Lut (1): Magnitude meets Multitude

    200.000 Quadratkilometer, die Fläche von Österreich, der Schweiz und Bayern. Eine Salzwüste entstanden aus einem ehemaligen Binnenmeer. Die Dasht-e Lut oder Leere Ebene besticht durch ihre Vielfältigkeit, die sie über eine immense regionale Ausbreitung entfaltet. Von imaginären Mond- und Marslandschaften über Kleinst- und Megadünen durchsetzt von gewaltigen Gesteins- und Lehmformationen, die Dasht-e Lut bietet all das und noch viel mehr. Viel davon durfte ich bestaunen und ziehe meinen Hut, Schleier und Turban.

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    Reliefkarte von Iran

    Zu Fuß und mit Rädern

    Zunächst sind wir von Teheran nach Birjand geflogen, eine unaufregende Stadt im Osten, nahe der afghanischen Grenze. Dort haben wir das Betreuungsteam kennengelernt. Fünf Iraner, alle erfahrene Wüstenfüchse, haben uns mit ihren Autos begleitet und streckenweise durch die Lut geführt. Bald nachdem wir Birjand verlassen hatten, gab es keine nennenswerten Ansiedelungen mehr, aber es existieren Verbindungsstraßen Richtung Süden, entlang der Grenze. Die Leere hatte sich bereits eröffnet. Dann kamen wir durch dunkle Steinberge, die sich wie eine Mondlandschaft von der Umgebung abhoben und den Übergang zur sandigen Ebene bildeten.

     

    Hardships

    Am Beginn der Dünen schlugen wir unser erstes Nachtcamp auf. Nachdem es bereits um 16:30 dunkel wurde, mussten wir rasch unsere Zelte und die Versorgung aufbauen. Sobald die Sonne verschwunden war, wurde es eiskalt, dazu kam starker Wind, der uns bald vom wärmenden Lagerfeuer in die Zelte trieb. Wenn man drinnen liegt, ist die Gefahr geringer, dass das Zelt davonfliegt. Diese Nacht hat uns die rauen Seiten der Dasht-e Lut spüren lassen. Minus 10 Grad Celsius haben mich keine Minute schlafen lassen, dazu kam der Wind, der am Zelt rüttelte. Gegen 2 Uhr früh begann sich auf einmal die Erde unter mir zu bewegen. In sanften starken Wellen und für einige Sekunden war das Erdbeben, das in der Wüstenstadt Kerman mit 6,2 nach Richter bemessen wurde, aktiv. Bereits um 5 Uhr früh standen wir auf, es war noch finster und meine Finger blieben an den metallenen Zeltstangen haften. Das war der Moment, als ich mich kurz fragte, was in aller Welt mich hierhertrieb, aber wenige Zeit später, als wir gegen Sonnenaufgang loszogen, wusste ich es wieder. Die Weite, die Stille, die unberührte Natur haben mich die erste Stunde vorweg laufen lassen, damit ich sie ganz alleine für mich aufnehmen konnte. Ich war wie berauscht. Nach und nach wurden die kleinen Dünen größer und der Bewuchs änderte sich. Zwischendurch trafen wir hier noch auf Kamele, aber für die nächsten zehn Tage begegneten wir keinen Menschen, nur lange verblichenen Spuren.

    Jeden Tag gelang es besser, uns an die klimatischen Extreme anzupassen und wir legten täglich eine Strecke von etwa 25 km und 800-1000 Höhenmetern zurück. Am zweiten Abend konnten wir zunächst keine Verbindung zu unserem Team aufbauen, dann hörten wir über Funk, dass zwei Autos stecken geblieben waren. Wir hatten nicht viel Zeit bis zur Dunkelheit, dann wäre ein Treffen schwierig geworden. Wir vereinbarten die Richtung, liefen möglichst nahe an ein Dünental und teilten uns in zwei Gruppen. Die eine blieb auf der Dünenspitze um die Autos zu sichten, die andere Gruppe stieg ab und suchte Brennholz. Wir zogen alles an, was wir bei uns hatten und harrten der Dinge. Die Aussicht, bei Minustemperaturen ohne Zelt, Feuer und Essen zu übernachten, war wenig anheimelnd. Endlich, kurz nach Sonnenuntergang, erkannten wir Lichter in der Ferne und begannen mit unseren Lampen Signale zu geben. Wir rannten mehr oder weniger ins Tal, bevor die Dunkelheit das Gehen im Sand zu einer Tour de Force hätte werden lassen.

     

    Im Dünenmekka der Megadünen

    In den nächsten Tagen gelangten wir von den mittelhohen Dünen zu den Megadünen, die wie Bergmassive 400 Meter vor uns aufragten. An dieser Stelle mussten wir erkennen, dass wir auf dieser Reise die Sanddünen und die folgenden Kaluts nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit zu Fuß bewältigen konnten. Den Aufstieg auf eine der Megadünen legten wir auf 6 Uhr früh, um ausreichend Kraft und Energie zur Verfügung zu haben. Ich musste bereits am Tag davor meine Schuhe gegen Sandalen eintauschen, da meine Zehen vollzählig vorhanden aber in einem bemitleidenswerten Zustand waren. Glücklicherweise gibt es vorausdenkende Wandersgenossen und -genossinnen, und ich konnte mir Sandalen ausborgen, die mit dicken Socken für gute Bodenhaftung sorgten. Stylesicher kam ich damit letztlich auf alle Dünen. Die Besteigung der Megadüne mit ihren 375 Metern in Sandalen schien zunächst zwar wenig erfolgversprechend, umso beglückender der Gipfelsieg. Der motivatorische Anschub durch die in Aussicht gestellten Haribo-Lamas ist nicht zu unterschätzen.

     

    Hier geht es zu Teil 2 von Magnitude meets Multitude und Teil 3 Die Wüste lebt

  • Expedition Dasht-e Lut Dezember 2017

    Vom 12. bis 20. Dezember durchwanderten und erfuhren wir die Wüste Lut

    Ich war gemeinsam mit einer Gruppe von 12 Personen, geführt von Jerome Bloessner und fünf iranischen Guides, zehn Tage zu Fuß unterwegs. Als erste Gruppe lag es an uns, die Route und das Terrain zu erkunden. Alle TeilnehmerInnen waren erfahrene Wüstengeher. Das war gut, denn das Ungeplante hat uns an vielen Stellen bestimmt. Es hat unter anderem dazu geführt, dass wir nach fünf Tagen wesentliche Teilstrecken mit dem Auto zurücklegen mussten, da wir die Distanzen und vor allem die Beschaffenheit der Strecken anders nicht bewältigt hätten. Ich musste an einigen Stellen meine Komfortzone verlassen und habe extreme Erfahrungen zugelassen. Gleichzeitig bin ich wahrscheinlich die einzige Frau, die je in den Megadünen der Dasht-e Lut eine Fußzonenreflexmassage genossen hat und dazu iranischen Tee schlürfte. Die Begegnung mit der Dasht-e Lut war eine großartiges Erlebnis, ich fühle mich unglaublich bereichert und dankbar. Merci! wie die IranerInnen sagen.

    Hier die drei Teile meines Berichts, zu finden auch unter Journeys – Wüstenwandern:
    Teil 1: Magnitude meets Multitude 
    Teil 2: Magnitude meets Multitude
    Teil 3: Die Wüste lebt

     

    Auf den Spuren von …

    Alfons Gabriel, ein österreichischer Arzt, hat gemeinsam mit seiner Frau, Agnes Gabriel-Kummer, auf einer großen Persienreise die Wüste Lut durchquert. Ihre zum Teil selbst finanzierte Mission war die freie Forschung und dabei “einzudringen in noch übriggebliebene, unbekannte Räume und ihren Rätseln nachzugehen.” In ihrem wunderbaren Buch: Durch Persiens Wüsten, beschreiben sie ihre Erlebnisse und Entdeckungen, die aktuell anmuten:

    “Dabei wollten wir den Zauber einer Welt aufnehmen, die mehr und mehr eingeschnürt wird von den Strömen des heutigen, alles umspannenden westlichen Lebens, die versinkt und hoffnungslos dahin schwindet.”

    Alfons Gabriel und die Forschungsreisen gemeinsam mit seiner Frau sind im heutigen Iran im Gegensatz zu Österreich sehr bekannt. Sein Name steht für die ersten Entdeckungsreisen in die großen persischen Wüsten, die ihn nachweislich in den Bann gezogen haben.

    “Eine eigene Anziehungskraft haben diese Wüsten, und mächtig sind die Eindrücke, die von den leblosen, menschlichen Maßstäben spottenden Gebieten auf Schauen und Denken ausgehen. Sternhaft einsam ist die Welt, die wir gesucht haben, ohne Regung, losgelöst von allem Irdischen, jenseits von Leben und Tod.”

    Alfons Gabriel (1935), Durch Persiens Wüsten

    Eintauchen in die Dasht-e Lut (Kurzfilm)

  • Das leere Viertel – welcome back!

    Rub al-Khali 2016.

    Zurückgekehrt. Im gleißenden Licht der Mittagshitze in die Rub wieder eingetaucht und in ihr aufgesogen. Der erste Schritt aus Ali’s Jeep in den Sand und alles ist mit einem Schlag wieder da – die Seele erinnert sich, die tiefe Ruhe greift sofort wieder Platz und nimmt mich ein.

     

    Die besonderen Momente

    Meine unermüdlichen Bemühungen, nach dem täglichen Marsch, mit dem jüngsten, neu ins Team gekommenen Beduinen, zu konversieren, erscheinen ein wenig sinnlos. Er, ein geborener Poet und Komiker, dem zu zuhören selbst ohne Verständnis des Arabischen bzw. Omanischen eine Wonne ist, hat gewonnen. Ich gebe mich seinem Singsang einfach hin und vergesse meinen Anspruch auf Lektionen.

     

    Abends zum Sonnenuntergang, kraxele ich barfuß entlang der Dünenkanten hinauf auf eine der Dünen und genieße diesen Moment im schönsten goldgelben Licht, bevor die Finsternis über uns hereinfällt. Verdeckt, hinter einer Dünenwand, beginne ich zu tanzen.

     

  • Das leere Viertel – das erste Mal

    Rub al-Khali 2014.

    Mein Einstieg in die größte Sandwüste der Welt, das Leere Viertel zwischen Oman, Jemen, Saudi Arabien und den VAE. Die Rub al-Khali wurde in den 1930er Jahren von einem Engländer erst begangen. Zehn Jahre später hat Wilfred Thesiger, mein Hero, die Rub zwei mal mit Beduinen aus dem Oman gänzlich durchquert. Sein Buch: Arabian Sands ist nach wie vor der Maßstab für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Wüste und der damaligen einzigartigen Lebensform seiner Einwohner, den Beduinen und ihren Kamelen.

    Nach meinen ersten Wüstenerfahrungen in der Sahara (Marokko) und der Gobi (China, Mongolei), war ich sehr aufgeregt, als ich das erste mal die Rub al-Khali betrat. 14 Menschen zehn Tage zu Fuß unterwegs mit drei Beduinen entlang der omanisch saudischen Grenze. Befangen von der Unendlichkeit der Dünenlandschaft. Auf Wilfred Thesiger’s Spuren 70 Jahre später, Kamele getauscht gegen Jeeps und sonstige Annehmlichkeiten. Trotzdem große Anstrengung. Amur und Ali sind unser Bin Ghabaisha und Bin Kabina.

    Der imprint ist da, die Rub hat sich in mir für immer verewigt und läßt mich nicht mehr los.

    Treiben im Dünenmeer

    Die Farbe des Sandes – je nach Lichteinfall gelb, rot leuchtend – das Zusammenfließen der Wadis mit ihrem harten Untergrund und den Erhebungen der mächtigen Dünen, für mich ist die Rub niemals leer, sondern in ihrer Leere unglaublich vielfältig. Die weiß schimmernden Gipseinschlüsse geben von der Weite den Eindruck, als lägen zwischen den Dünen weiße Seen, in der Nähe bilden sie einen malerischen Kontrast zu den changierenden Sandfarben. Vor diesem Hintergrund entwickelt das Gehen, die reduzierte Geschwindigkeit des Fortkommens durch den Sand, ihre meditative Qualität. Die Weite und die Stille werfen mich auf mich selbst zurück, keine Ablenkung kann Gefühle der Demut und Dankbarkeit wegwischen. Aber ich bin Bauhaus und nicht Barock, für manch andere/n mag diese Reduziertheit bedrohlich wirken.

    Taht al Nutschum – arabisch für “unter den Sternen” – verbringen wir die Nächte. Sie sind kalt und klar, nichts verstellt die Sicht auf die Millionen Sterne, die Sternschnuppen und die Milchstraße, außer die eigene Müdigkeit, die mir innerhalb weniger Minuten jeden Abend die Augen schließt.

    immer und immer wieder – I’ll be back!