Tag: Iran

  • Der Trost des Nachthimmels

    Der Trost des Nachthimmels

    Wenn du den Nachthimmel lange genug beobachtest, begreifst du, dass jeder Stern allein und unendlich weit vom nächsten entfernt ist, aber dass sie alle einem Gesetz unterliegen und dass dieses Gesetz ihre Einsamkeit aufhebt. Es verbindet sie, stellt Beziehungen zwischen ihnen er, es beginnt ein Gespräch unter ihnen, selbst wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. So muss es auch mit den Menschen sein,“ …. „Wir sind tatsächlich allein und jeder für sich, aber wir wissen, dass es ein Gesetz gibt, das uns verbindet, weil wir ihm alle unterliegen. Solange es existiert, solange es uns verbindet, sprechen wir mit unseren unbekannten Brüdern.

    aus Der Trost des Nachthimmels

    Begegnung mit dem bosnischen Autor Dzevad Karahasan und seinem Roman Der Trost des Nachthimmels

    Es ist ein Erlebnis, den Roman zu lesen und ein Ereignis, mit dem Autor über seinen Roman und noch viel mehr zu sprechen. Dzevad steckt voller philosophischer Betrachtungen über die Kunst des Lebens und überträgt diese auf das Leben in restriktiven politischen Systemen. Das persische Mittelalter als Spiegelbild von heute. Omar Khayyam als mathematisches Genie, Astronom, Poet – und als Mensch in einem Entwicklungsroman. Auf der Suche nach der Wahrheit, die es nicht gibt.

    Gemäß seinem Glaubenssatz „Die Welt kann man nur über das Narrativ erklären“ hat Dzevad Karahasan seinen Roman über Omar Khayyam geschrieben und damit ein aktuelles Bild der Herausforderungen unserer Zeit entworfen. „Die Wahrheit offenbart sich im Dialog“ (Platon) war die Grundlage unserer Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Roman. Zwei Themen haben mich aufgrund ihrer Aktualität besonders berührt: Der Paradiesblick, den zu bewahren in unserer Gesellschaft zur hohen Kunst geworden ist und die allgegenwärtige Angst, die uns manipulierbar macht.

    Der Paradiesblick…

    Omar Khayyam glaubt als junger Mensch und Wissenschaftler, dass es eine Wahrheit gibt. Im Laufe des Romans begreift er die Wertlosigkeit der Wahrheit in der Auflösung eines komplexen Kriminalfalles mit vielen Wahrheiten. Menschen wie Omar Khayyam leben in einer Welt der Konstrukte. Ihnen ist der Paradiesische Blick verwehrt, der ermöglicht mit der Naivität und Offenheit eines Kindes wahrzunehmen, die Dinge so zu sehen wie sie sind und nicht wie sie sich gemäß bestimmter vorgefasster Erwartungen in einem Koordinatensystem darstellen. Eine Qualität, die vielen Menschen im Laufe des Erwachsenwerdens abhandenkommt und die nur mühsam erlernt werden kann. Khayyam lernt das Unmittelbare wahrzunehmen, das Zeichen an sich und nicht das, was dahintersteht.

    Angst…

    Angst bestimmt den Menschen. Despoten sind von Angst getrieben. Omar Khayyam lebte in einer Zeit, als im Westen Heiden und im Osten Mystiker umgebracht wurden. Ich-Zentrierung der Herrschaft und Egoismus waren damalige Formen des Fundamentalismus, sie muten aber sehr heutig an. „Der Mensch ist ein Wesen der Angst” und  “durch die Angst verschließen wir uns vor dem Leben” zeigen klar auf, vor welchen Herausforderungen wir auch jetzt stehen.

    Im Gespräch – Die Literatur erinnert uns daran, was für Wesen wir wirklich sind:

    Das Titelphoto zeigt den großartigen Meidan-e Imam in Isfahan bei Nacht. Den großen Platz, genannt der Bauplan der Welt, querte auch Omar Khayyam mit seinen Gefährten.

    Danke an die Gea Akademie für die Idee und Organisation von Perlen wie dieser.

  • Dasht-e Lut (3): Die Wüste lebt

    Verirrtes Leben in der Dasht-e Lut

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    Spuren wilder Kamele

    Vermeintlich ist die Dasht-e Lut eine leblose Salzwüste. Unsere iranischen Begleiter bestätigen, dass die Menschen in Iran genau das noch immer glauben und sie daher außer Acht lassen. In der Vergangenheit zogen Karawanen durch diese Wüste, meist auf ihrem Weg von Afghanistan oder Belutschistan im heutigen Pakistan nach Persien und weiter in den Westen. Das weite Gebiet der Sanddünen wurde dabei gänzlich umgangen, da es für Menschen und Kamele mit den Lasten schwer begehbar war und das wenige Wasser salzig ist. Trotzdem gibt es Leben in jedem Abschnitt der Wüste.

    In den Sandmeeren gibt es verdorrtes niedriges Gras und Büsche, die grün werden, sobald Regen fällt. Das ist Futter für die Kamele, die an den Rändern der Sanddünen auch wild leben. Wir haben Kamele und Raben gesehen, Spuren von Mäusen und Schlangen, berichtet werden auch Skorpione. Interessant wurde es in den Kaluts, denn dort, in den magischen Steintälern mit ihren sandigen Verwehungen, gibt es keine äußeren Spuren von Pflanzen. In der Nacht, am Lagerfeuer haben wir trotzdem einen Wüstenfuchs dabei beobachtet, wie er um unsere Zelte schlich. Wir haben Skelette von Vögeln gefunden und es wird erzählt, dass sich die Wüstenfüchse von Zugvögeln ernähren, die sich verirren oder ausruhen wollen. Aufgrund des fehlenden Wassers werden sie zu einer leichten Beute. Dazu kommen noch Schlangen, Mäuse und Insekten. WissenschafterInnen sind gerade dabei, Flora und Fauna in der Dasht-e Lut zu untersuchen, bald werden sie ihre neuen Erkenntnisse veröffentlichen.

    Karawane der Vergessenen

    Babak hat sie entdeckt, die Überreste einer Karawane, mitten in den Kaluts. Die Stücke lagen verstreut, aber nahe beinander, sie waren gut sichtbar, hochwertig und über die vielen Jahre sehr gut erhalten. Ein Stoffmantel aus Jute, Socken, schöne gewebte Tücher, Sattelzeug von Kamelen, Tongefäße, von denen manche noch das restliche Pulver von Gewürzen oder Speisen enthielten. Es mutet eigenartig an, an so einem leblosen Ort vor langer Zeit hingeworfene Insignien menschlichen Lebens zu finden. Ist da nie jemand vorbei gekommen bzw. warum sind sie nie zurückgekehrt, um sich die Sachen zu holen? Sind sie gestorben, überfallen worden, haben sie sich verirrt und mussten alles abwerfen, was sie entbehren konnten, um schnell hinaus zu kommen aus dieser Wüste?

    Wenn man nicht als Archäologe, dessen Handwerk es ist, derartige Stücke zu kategorisieren und zu analysieren, auf solch einen Fund stößt, ist das zunächst einmal umwerfend interessant. Gleichzeitig löst es eine Mischung aus Demut und Respekt vor dem Verblichenen und dessen unbekannten Ursachen aus. Ohne zu wissen, was eigentlich passiert ist, sind diese Stücke aufgeladen mit möglichen letzten Emotionen wie Angst, Panik, Bedrohung, Erschöpfung, Ohnmacht, Wut. Diese möchte man sich nicht einfach so aneignen.

    img_9786-300x225-1860740Beim Lagerfeuer denken wir uns eine Geschichte für sie aus: Eine reiche Familie auf dem Weg von Afghanistan nach Persien ist vom Weg abgekommen. Sie stiegen ab, setzten sich zu einer Shisha zusammen und besprachen die Lage, dabei wurden sie überrascht, vielleicht ein Sandsturm ……. sie konnten mit ihren Kamelen entkommen, hatten das Wichtigste bei sich und sind – ohne Blick zurück – weiter gezogen.

     

    Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 von Magnitude meets Multitude in der Dasht-e Lut.

  • Dasht-e Lut (2): Magnitude meets Multitude

    In den Kaluts – Märchenschlösser bauen

    Nach den Megadünen kamen wir in ein Gebiet, das Mehrdad, der langjährige Kenner der Lut, Sterndünen nennt, da sie in ihrer Formation spitz zulaufend diesen ähneln. Dort beginnen die ersten Kaluts, noch kleine Gesteinsformationen, die wie Pilze aus dem Sand ragen. Von oben hat man den Eindruck, auf archäologische Ausgrabungen zu blicken, da sich abgegrenzte Gesteinsstrukturen von der Sandebene scharf abheben. Darunter befindet sich auch das riesige „Auge der Lut“, das vom All aus betrachtet, genauso aussieht.

    Je tiefer wir vordrangen, desto beeindruckender gestalteten sich die Gebilde und das Staunen wurde von Phantasien über Städte, Paläste, Burgen und großen Schiffsflotten angereichert. Mächtige Lehmformationen bilden Täler, die sich parallel verlaufend kilometerlang hinziehen. Sie wirken fast surreal, wie in einer Marslandschaft, outer space. Wind und Sand haben diese einzigartige Naturerscheinungen über die Jahre geschliffen. Ich war wie gebannt und wollte mich nicht mehr fortbewegen, sondern mein Zelt für einen unbegrenzten Zeitraum aufschlagen und mich durch die Straßen der unbewohnten Häuserschluchten aus Lehm treiben lassen.

    Im Tal der Könige sind wir über das Teufelspflaster zum Märchenschloss gelangt, das oben am Berg thronte mitsamt seinen verspielten Türmchen. In der Morgensonne sind sie auf eimal wie mächtige Hochseeschiffe hinter dem Felsen aufgetaucht.

    Der Weg hinaus – kein Stoff für Drogenschmuggler

    Von der Ebene (Dasht) fuhren wir mit den Autos durch ein trockenes Flussbett, das sich lange dahin schlängelte und sich dann zu einem Canyon ausweitete. Auf einmal fuhren wir im Wasser und neben uns sprießten Dattelbäume und grellgrünes Gras aus dem karstigen Boden. Es kam so plötzlich, das erste Wasser und Grün nach zehn Tagen durch die trockene Leere, so als wäre es selbstverständlich immer da gewesen.

    Von Keshid, einer verlassenen Stadt am Ausgang des Canyons, gelangten wir unvermittelt auf die erste Strasse, die aus der Lut hinausführt. Zurück in der Zivilisation musste sich die weibliche Besatzung wieder verhüllen. Nach zehn Tagen ungenierter Entblößung zogen wir Schleier und Mantel über unsere schmutzigen Wüstenoutfits. Wir starteten bei 200 und mussten über die Berge auf 2500 Höhenmeter hinauffahren. Am Weg ging uns das Benzin aus und wir gelangten stockend zum ersten Dorf. Dort brachten uns Einheimische bereitwillig ein paar Flaschen gefüllt mit Benzin. Tankstellen sind hier verboten, da keine Infrastruktur für die Drogendealer geschaffen werden darf. Wir befanden uns am Weg nach Kerman, einer Verbindungsroute von Afghanistan. Jetzt waren wir wieder in der Zivilisation angekommen, Menschen, die uns und unsere großen Autos verblüfft anstarrten. Zur Feier des Ausgangs gab es ZamZam, die iranische Variante von Fanta und Cola. Gekühlt!

    Hier geht es zu Teil 1 von Magnitude meets Multitude und Teil 3 Die Wüste lebt

  • Dasht-e Lut (1): Magnitude meets Multitude

    200.000 Quadratkilometer, die Fläche von Österreich, der Schweiz und Bayern. Eine Salzwüste entstanden aus einem ehemaligen Binnenmeer. Die Dasht-e Lut oder Leere Ebene besticht durch ihre Vielfältigkeit, die sie über eine immense regionale Ausbreitung entfaltet. Von imaginären Mond- und Marslandschaften über Kleinst- und Megadünen durchsetzt von gewaltigen Gesteins- und Lehmformationen, die Dasht-e Lut bietet all das und noch viel mehr. Viel davon durfte ich bestaunen und ziehe meinen Hut, Schleier und Turban.

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    Reliefkarte von Iran

    Zu Fuß und mit Rädern

    Zunächst sind wir von Teheran nach Birjand geflogen, eine unaufregende Stadt im Osten, nahe der afghanischen Grenze. Dort haben wir das Betreuungsteam kennengelernt. Fünf Iraner, alle erfahrene Wüstenfüchse, haben uns mit ihren Autos begleitet und streckenweise durch die Lut geführt. Bald nachdem wir Birjand verlassen hatten, gab es keine nennenswerten Ansiedelungen mehr, aber es existieren Verbindungsstraßen Richtung Süden, entlang der Grenze. Die Leere hatte sich bereits eröffnet. Dann kamen wir durch dunkle Steinberge, die sich wie eine Mondlandschaft von der Umgebung abhoben und den Übergang zur sandigen Ebene bildeten.

     

    Hardships

    Am Beginn der Dünen schlugen wir unser erstes Nachtcamp auf. Nachdem es bereits um 16:30 dunkel wurde, mussten wir rasch unsere Zelte und die Versorgung aufbauen. Sobald die Sonne verschwunden war, wurde es eiskalt, dazu kam starker Wind, der uns bald vom wärmenden Lagerfeuer in die Zelte trieb. Wenn man drinnen liegt, ist die Gefahr geringer, dass das Zelt davonfliegt. Diese Nacht hat uns die rauen Seiten der Dasht-e Lut spüren lassen. Minus 10 Grad Celsius haben mich keine Minute schlafen lassen, dazu kam der Wind, der am Zelt rüttelte. Gegen 2 Uhr früh begann sich auf einmal die Erde unter mir zu bewegen. In sanften starken Wellen und für einige Sekunden war das Erdbeben, das in der Wüstenstadt Kerman mit 6,2 nach Richter bemessen wurde, aktiv. Bereits um 5 Uhr früh standen wir auf, es war noch finster und meine Finger blieben an den metallenen Zeltstangen haften. Das war der Moment, als ich mich kurz fragte, was in aller Welt mich hierhertrieb, aber wenige Zeit später, als wir gegen Sonnenaufgang loszogen, wusste ich es wieder. Die Weite, die Stille, die unberührte Natur haben mich die erste Stunde vorweg laufen lassen, damit ich sie ganz alleine für mich aufnehmen konnte. Ich war wie berauscht. Nach und nach wurden die kleinen Dünen größer und der Bewuchs änderte sich. Zwischendurch trafen wir hier noch auf Kamele, aber für die nächsten zehn Tage begegneten wir keinen Menschen, nur lange verblichenen Spuren.

    Jeden Tag gelang es besser, uns an die klimatischen Extreme anzupassen und wir legten täglich eine Strecke von etwa 25 km und 800-1000 Höhenmetern zurück. Am zweiten Abend konnten wir zunächst keine Verbindung zu unserem Team aufbauen, dann hörten wir über Funk, dass zwei Autos stecken geblieben waren. Wir hatten nicht viel Zeit bis zur Dunkelheit, dann wäre ein Treffen schwierig geworden. Wir vereinbarten die Richtung, liefen möglichst nahe an ein Dünental und teilten uns in zwei Gruppen. Die eine blieb auf der Dünenspitze um die Autos zu sichten, die andere Gruppe stieg ab und suchte Brennholz. Wir zogen alles an, was wir bei uns hatten und harrten der Dinge. Die Aussicht, bei Minustemperaturen ohne Zelt, Feuer und Essen zu übernachten, war wenig anheimelnd. Endlich, kurz nach Sonnenuntergang, erkannten wir Lichter in der Ferne und begannen mit unseren Lampen Signale zu geben. Wir rannten mehr oder weniger ins Tal, bevor die Dunkelheit das Gehen im Sand zu einer Tour de Force hätte werden lassen.

     

    Im Dünenmekka der Megadünen

    In den nächsten Tagen gelangten wir von den mittelhohen Dünen zu den Megadünen, die wie Bergmassive 400 Meter vor uns aufragten. An dieser Stelle mussten wir erkennen, dass wir auf dieser Reise die Sanddünen und die folgenden Kaluts nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit zu Fuß bewältigen konnten. Den Aufstieg auf eine der Megadünen legten wir auf 6 Uhr früh, um ausreichend Kraft und Energie zur Verfügung zu haben. Ich musste bereits am Tag davor meine Schuhe gegen Sandalen eintauschen, da meine Zehen vollzählig vorhanden aber in einem bemitleidenswerten Zustand waren. Glücklicherweise gibt es vorausdenkende Wandersgenossen und -genossinnen, und ich konnte mir Sandalen ausborgen, die mit dicken Socken für gute Bodenhaftung sorgten. Stylesicher kam ich damit letztlich auf alle Dünen. Die Besteigung der Megadüne mit ihren 375 Metern in Sandalen schien zunächst zwar wenig erfolgversprechend, umso beglückender der Gipfelsieg. Der motivatorische Anschub durch die in Aussicht gestellten Haribo-Lamas ist nicht zu unterschätzen.

     

    Hier geht es zu Teil 2 von Magnitude meets Multitude und Teil 3 Die Wüste lebt

  • Expedition Dasht-e Lut Dezember 2017

    Vom 12. bis 20. Dezember durchwanderten und erfuhren wir die Wüste Lut

    Ich war gemeinsam mit einer Gruppe von 12 Personen, geführt von Jerome Bloessner und fünf iranischen Guides, zehn Tage zu Fuß unterwegs. Als erste Gruppe lag es an uns, die Route und das Terrain zu erkunden. Alle TeilnehmerInnen waren erfahrene Wüstengeher. Das war gut, denn das Ungeplante hat uns an vielen Stellen bestimmt. Es hat unter anderem dazu geführt, dass wir nach fünf Tagen wesentliche Teilstrecken mit dem Auto zurücklegen mussten, da wir die Distanzen und vor allem die Beschaffenheit der Strecken anders nicht bewältigt hätten. Ich musste an einigen Stellen meine Komfortzone verlassen und habe extreme Erfahrungen zugelassen. Gleichzeitig bin ich wahrscheinlich die einzige Frau, die je in den Megadünen der Dasht-e Lut eine Fußzonenreflexmassage genossen hat und dazu iranischen Tee schlürfte. Die Begegnung mit der Dasht-e Lut war eine großartiges Erlebnis, ich fühle mich unglaublich bereichert und dankbar. Merci! wie die IranerInnen sagen.

    Hier die drei Teile meines Berichts, zu finden auch unter Journeys – Wüstenwandern:
    Teil 1: Magnitude meets Multitude 
    Teil 2: Magnitude meets Multitude
    Teil 3: Die Wüste lebt

     

    Auf den Spuren von …

    Alfons Gabriel, ein österreichischer Arzt, hat gemeinsam mit seiner Frau, Agnes Gabriel-Kummer, auf einer großen Persienreise die Wüste Lut durchquert. Ihre zum Teil selbst finanzierte Mission war die freie Forschung und dabei “einzudringen in noch übriggebliebene, unbekannte Räume und ihren Rätseln nachzugehen.” In ihrem wunderbaren Buch: Durch Persiens Wüsten, beschreiben sie ihre Erlebnisse und Entdeckungen, die aktuell anmuten:

    “Dabei wollten wir den Zauber einer Welt aufnehmen, die mehr und mehr eingeschnürt wird von den Strömen des heutigen, alles umspannenden westlichen Lebens, die versinkt und hoffnungslos dahin schwindet.”

    Alfons Gabriel und die Forschungsreisen gemeinsam mit seiner Frau sind im heutigen Iran im Gegensatz zu Österreich sehr bekannt. Sein Name steht für die ersten Entdeckungsreisen in die großen persischen Wüsten, die ihn nachweislich in den Bann gezogen haben.

    “Eine eigene Anziehungskraft haben diese Wüsten, und mächtig sind die Eindrücke, die von den leblosen, menschlichen Maßstäben spottenden Gebieten auf Schauen und Denken ausgehen. Sternhaft einsam ist die Welt, die wir gesucht haben, ohne Regung, losgelöst von allem Irdischen, jenseits von Leben und Tod.”

    Alfons Gabriel (1935), Durch Persiens Wüsten

    Eintauchen in die Dasht-e Lut (Kurzfilm)

  • Saadi aus der Feder von Hossein Fallahi

    Portrait des Poeten Saadi von Hossein Fallahi

    Jeden Tag ging ich an seinem Geschäft vorbei und starrte minutenlang in die Auslage. In Isfahan gibt es noch viele Geschäfte mit Miniaturmalerei, aber für mich gab es nur das eine. Die Kunstfertigkeit seiner Darstellungen ist überwältigend. Jedes mal, wenn ich davor stand, suchte ich einen unbedingten Grund, warum ich hinein gehen sollte, aber weder war Platz in meinem Gepäck noch hatte ich ausreichend Bargeld. Ich hatte gedanklich alles durchgespielt, Familie, Freunde, niemand hatte eine Jubiläum oder hätte große Freude an einer persischen Miniaturmalerei mit 2000 Jahre alten vorwiegend kriegerischen Szenen gefunden. Am letzten Tag, an dem ich eigentlich schon in Wien sein sollte, aber das ist eine andere Geschichte, bin ich jedenfalls hinein spaziert, und da saß links neben der Tür der Meister selbst.

    Im Türkensitz auf einer Bank, thronte er und malte. Ich grüßte freundlich, schaute mich um und besprach so manches mit der Verkäuferin. Dann sprach er mich an, und wir begannen uns über Wien, Präsidentenwahlen und die Welt zu unterhalten, bis er mich einlud, mich zu ihm zu setzen. An irgendeiner Stelle musste ich gestehen, dass sich meine Liebe zur Malerei auf deren Betrachtung beschränkt. Ein leicht verächtliches Lächeln umspielte seine Mundwinkel und er meinte, wenn ich nur schreiben könne, dann müsse eben er für mich malen. Er nahm ein Blatt Papier von seinem Block, setzte den hauchdünnen Pinsel an und zeichnete hochkonzentriert, in einem Lauf dieses Portrait des Poeten Saadi, dasselbe, das er auch für Heinz Fischer bei seinem Staatsbesuch in Iran, gemalt hatte. Dann unterhielten wir uns über seinen Besuch in Wien, den Prater ….

  • Ode an Maryam – über die starken Töchter Persiens

    Ode an Maryam – über die starken Töchter Persiens

    Meine Maryam wird von vier Frauen verkörpert, sie alle heißen Maryam. Ich bin ihnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf meiner Reise durch den Iran begegnet. Ich spreche von einer viel-gesichtigen Maryam, ihr Alter bewegt sich zwischen 20 und 35 Jahren. Ihnen gemein ist nicht nur der Name. Ob nur für 30 Sekunden oder über mehrere Tage haben sie einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Jede auf ihre Art und Weise.

    Maryam will weg aus dem Iran. Sie fühlt sich betrogen. Die Eltern hatten ihre Freiheiten in der Kindheit und haben dann für ihre Revolution gekämpft. Gegen die zu offensichtliche Ausbeutung durch das Schah-Regime. Die meisten wollten nicht, was letztendlich daraus geworden ist, sie haben vereint für Gerechtigkeit gekämpft. Auch ihre Söhne und Töchter sind unzufrieden. Aber sie hatten niemals die Freiheiten ihrer Eltern. Maryam will diese Freiheiten jetzt. Deswegen lernt sie, deswegen arbeitet sie, ist fleißig und engagiert.

    Ich habe Maryam auf der Kanju-Brücke in der Nacht getroffen. Ich stand auf der unteren Ebene einer der schönsten Brücken Isfahans zwischen zwei alten Mauerbögen. Dazwischen saßen Männer auf dem Mauersims zusammen und sangen persische Lieder. Immer wieder hat einer von ihnen den Ton angegeben und vorgesungen, bis die anderen eingestimmt haben. Die Stimmung war heiter, aufgekratzt, sie haben sich gegenseitig animiert. Es wirkte befreit, ihre Energie war ansteckend. Wie aus dem Nichts tauchten drei uniformierte Polizisten auf und holten gezielt zwei Männer aus den Reihen. Sie standen auf und gingen ohne Umschweife wenn auch etwas ungläubig schauend mit. Wir alle standen sichtbar herum, das tat nichts zur Sache. Selbst die Anwesenheit Fremder hat die Uniformierten nicht zögern lassen. Sie waren weg, es wurde weiter gesungen. Da wandte sich die junge Frau im schwarzen Chador neben mir an mich und sagte nur: „Do you speak English? Iran is bad! They don’t want us to be happy. I want to go away.“ Dann stellte sie mir ihren kleinen Bruder Mohammad vor und verabschiedete sich sogleich. Sie ließ keinen Zweifel offen, sie hatte keine Angst, ihre Abscheu war deutlich. Ich wollte kalmieren, sprach vom System, sie sah mir gerade ins Gesicht und verschwand mit ihrem Bruder an der Hand.

    Maryam schaut konsterniert und ernsthaft. Sie wickelt alles ab, bis jeder einzelne in der Gruppe seinen Zimmerschlüssel hat. Unbeirrt davon, dass andere daneben lange warten müssen. Dann schaut sie auf und strahlt mich persönlich an. Als Rezeptionistin hat sie den Überblick, die Situation fest im Griff, gleich wie viele Menschen anstehen. Maryam ist noch nicht dort, wo sie sein möchte. Sie hat eine gute Ausbildung, und sie hat einen Job, den sie voll ausfüllt. Die Männer daneben, Angestellte gleich wie sie, wirken dagegen blass und ungelenk, stellenweise fadisiert, wenn nicht faul. Maryam ist motiviert, sie möchte lernen, andere Länder sehen, sich beruflich entwickeln. Von verschiedenen Seiten wird an sie herangetragen, dass sie im richtigen Alter sei, jetzt endlich Kinder zu bekommen. Sogar die Ärztin hat zuletzt auf sie eingewirkt. Die Unsicherheit ist groß, damit fällt die Unabhängigkeit, denn Familie und Kinder bedeuten im Iran immer noch zumindest eine längere Job-Pause. Frauensache, wie so viele Lebensbereiche im Iran. Ihr Vorteil ist die Ausbildung, sie gibt den Frauen Selbstvertrauen und macht sie gegenüber ihren männlichen Kollegen überlegen, ob als Rezeptionistin, Übersetzerin oder Managerin halten sie das Heft in der Hand.

    Maryam hat einen Zwillingsbruder und zwei ältere Brüder. Sie arbeitet als Deutschlehrerin und ist als Tour Guide viel im Iran unterwegs. Die Familie unterstützt das, gibt ihr die nötige Freiheit, allein mit Fremden auf Tour zu gehen. Im Zusammenhang mit Arbeit ist viel erlaubt. Wenn sie nicht unterwegs ist, lebt sie bei ihrer Familie. Sogar als Berufstätige und finanziell unabhängig mit Anfang 30 kann sie nicht alleine wohnen. Wenn sie zu Hause ist, streitet sie viel mit ihrer Mutter. Als Tochter muss sie mehr Ansprüchen gerecht werden als ihr Zwillingsbruder, der sich noch dazu keine Freiheiten nimmt. Maryam nimmt sich immer wieder etwas heraus, sie ist manchmal unpünktlich und erzählt zu Hause nicht alles. Das fällt insbesondere auf, weil der Bruder so artig und konform ist. Das macht es schwer für sie. Maryam hat einen Freund, von dem die Familie nichts weiß oder zumindest nichts mehr weiß oder so tut, als wüsste sie nichts. Maryam hat diesen Freund schon länger, und es kam der Zeitpunkt, an dem sie sich entscheiden musste. Denn langfristig wird die Beziehung gefährlich, sogar in liberalen Familien ist eine weiße Ehe auf Dauer nicht möglich. Die Entscheidung war klar für den Freund und gegen die Heirat. Wer will schon alle Freiheiten verlieren, kurzfristig zum Sprachstudium nach Europa, raus aus den engen Grenzen des Regimes und ein unabhängiges Leben unterwegs mit Kunden, die von der weiten Welt erzählen und neue Eindrücke mitbringen? Wenn sie nicht zu Hause ist, telefoniert sie mehrmals täglich mit ihrer Mutter. Sie vermisst sie dann, wenn sie nicht da ist. Da ist es auch leichter, nicht alles zu erzählen. Der Vater sagt zu alledem nichts. Er lächelt bekräftigend, mehr braucht es für sie nicht.

    Interessanter Artikel “Time to go with the flow”: https://en.qantara.de/content/womens-rights-in-iran-farewell-compulsory-veiling-time-to-go-with-the-flow

  • Touch Down Iran – Landing in Teheran

    Landing in Teheran, Megacity

    Blick von unten auf den Milad TurmChaos, Dreck und eine abgewohnte Stadt haben mich empfangen. Ich war schnell entnervt, als sie mir im Hotel, das ich mühsam per email vorreserviert hatte, mitteilten, es gebe doch kein Zimmer für mich. Die Alternative, die sie mir drei Straßen weiter zeigten, war einfach untollerierbar. Ohne Internet-Buchungssysteme sind wir nicht mehr gewohnt zu reisen, vor allem in einem Land mit fehlendem Individualtourismus. Im Iran ist fast alles anders. So viele Unbekannte und Ungereimtheiten haben mich am ersten Tag, mit dem gesamten Reisebudget für drei Wochen in bar am Körper, verunsichert. Heute fühlt es sich anders an, kein Ärger mehr, aber eine gewisse Unsicherheit ist noch da. Stundenlanges Laufen verunmöglicht mein beeinträchtigtes Knie. Ich muss mich zwischendurch hinsetzen und das Bein hochlagern, was schwierig ist, weil es in so einer großen Stadt nicht viele Sitzgelegenheiten gibt. Vor allem aber ist es völlig unpassend und unschick für eine Frau, ihr Bein in die Öffentlichkeit zu halten.

    Eine neue Dimension

    In der Früh habe ich vor dem Museumskomplex auf einer der raren Bänke mein Telefon liegen gelassen. Ein Mädchen ist mir weit nachgelaufen und hat es mir gebracht. Sehr freundlich. Überhaupt, die Frauen hier, eine neue Dimension. Sie sind aufmerksam, ermunternd, manchmal sogar keck, jedenfalls offen, zugänglich und interessiert. Eine Frau hat mitten auf der Straße mit mir persisch zu sprechen begonnen und dabei wie selbstverständlich die ganze Zeit meine Hand gehalten. Eine Wohltat für die Frauenseele, nachdem ich auf meinen Reisen im Nahen Osten auch unsolidarische Erlebnisse mit Frauen hatte. Auf der Straße laufen nichts desto trotz vorwiegend Männer herum, sie wirken locker und umgänglich und sie starren. Nicht nur, wenn mir wieder einmal der Schleier verrutscht. Ich verstehe das nicht, scheine auf Teherans Straßen die einzige mit diesem Problem zu sein. Schon bei der Ankunft am Flughafen, am Weg vom Visumschalter zur Passkontrolle, entglitt mir das Tuch. Auf einmal fühlt man sich nackt, schuldig und ausgeliefert, ob jetzt vielleicht irgendjemand kommt und sich beschwert oder die Moralpolizei eingreift. Es stresst mich, ständig greife ich mir auf den Kopf und immer wieder ist da nichts.

    Dicke Tropfen prasseln herunter, Gewitter aber heute kein Hagel, obwohl die Berge im Norden bis tief hinunter schneebedeckt sind. Bei meiner Ankunft gestern war alles grau verhangen. Auf meine Frage nach dem Warum, habe ich vom Fahrer keine richtige Antwort bekommen. Nachdem die Perser sehr stolz sind, habe ich beim Thema Umweltschutz nach einiger Zeit nicht weiter nachgebohrt. Es waren aber eindeutig keine Regenwolken oder Nebel, sondern Smog. Die Luft im Stadtzentrum schneidet mir die Kehle zu, fast scharf kommen einem die Abgase und sonstige Verschmutzungen entgegen. Bei sechzehn Millionen Einwohnern und untertags angeblich an die zwanzig Millionen Menschen, viele davon im Auto, ist das nicht weiter verwunderlich.

    Wie hält das Ding am Kopf?

    Neues Tuch, selber Stress. Ich muss die nächste Iranerin Kopftücher drapiert auf Puppen im Sukansprechen, wie sie das machen. Ich starre schon ziemlich unverschämt, habe aber noch keine Hilfsmittel ausgemacht! Auf der Fahrt hier her, meine erste U-Bahnerfahrung im gemischt-geschlechtlichen Abteil, habe ich einige Nosejobs gesichtet und zwar sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Ich wusste vorher, dass es sehr viele Nasenkorrekturen und Schönheits-OPs in diesem Land gibt, aber das Pflaster ist überall und es wird mit Stolz getragen.

    Heute im Cafe Naderi nachdem es gestern bereits geschlossen war. Von einem Armenier vor 100 Jahren gegründet, heruntergekommener Charme, der mich zum Schreiben und Verweilen einlädt. Guter Cafe, unglaubliches Service. Fünf Männer, die herumstehen, meist gemeinsam und sich nicht scheren. Keine Aufmerksamkeit. Getestet nicht nur mir gegenüber, sondern an diesem Tag generell, wird hier nicht bedient, eher wird zwischendurch etwas an den Tisch gebracht. Sehr schnell im Vergleich dazu, und vor allem unaufgefordert, die Rechnung. Ein großes fast leeres Cafe, so soll es wohl auch bleiben.

    Jetzt habe ich gefragt: wie hält das Ding am Kopf? Simin, eine moderne junge Frau, die glücklicherweise Englisch spricht, sagt: ohne Hilfsmittel und es hält nicht. Wobei ich keine sehe, die so rumwurschtelt wie ich. Kein Spray, keine Haarnadeln, einfach jahrelange Übung und die Gelassenheit der schönen Frauen hier!