Tag: Jordanien

  • Jordaniens Leid und Freud

    Die aktuellen Ausschreitungen in Jordanien wundern niemanden, der in den letzten Jahren Zeit dort verbracht und erlebt hat, unter welchem Druck und finanziellen Nöten die Bevölkerung steht. Aus aktuellem Anlass: https://de.qantara.de/inhalt/proteste-in-jordanien-kein-schritt-zurueck

    Biblische Schwere und Sehnsuchtsplätze

    Ich fühle mich Jordanien sehr verbunden. Ich habe Plätze gesehen und erlebt, die mich in außerordentlicher Weise berührt haben. Jordanien ist ein biblisches Land, die meisten Plätze haben einen Bezug zu den ältesten Geschichten, die über die Bibel oder die Thora berichtet werden. Ich habe mit Erschrecken festgestellt, über wie wenig Wissen ich diesbezüglich verfüge und habe es genossen, von einer Jüngerin Jesu nicht nur mit höchst abstrusen Verschwörungstheorien und biblischen Vorhersagen versorgt worden zu sein, sondern durch sie auch einige der überlieferten Geschichten in Zusammenhang zu bringen. Das erkennt man nicht nur daran, dass sich einige ziemlich durchgeknallte westliche Menschen in Jordanien aufhalten, sondern auch daran, dass sich von Lot’s Höhle über Jesus’ Taufstelle (die es natürlich sowohl auf israelischer wie auch auf jordanischer Seite des an dieser Stelle vielleicht 2 m breiten Jordan gibt), bis zum Berg an dem Moses gestorben ist, so vieles zwischen Palästina und Jordanien abgespielt hat. Der Platz am Toten Meer, an dem Salome für Herodes getanzt hat und Johannes seinen Kopf eingebüßt hat, hat es mir besonders angetan. Wenn schon für einen Herrscher tanzen, dann dort. Um Qais, die römischen Ausgrabungen an der Grenze zu Syrien und Israel mit Blick auf den See Genezareth und die Golanhöhen, hat mich in einer Weise berührt, die ich kaum beschreiben kann. Sollte ich wieder nach Jordanien fahren, dann wird dieser Ort sicher Teil davon sein so, wie die Wüste in Wadi Rum, die beide Sehnsuchtsorte von mir geworden sind.

    Petra, Jordantal, Um Qais

    Zu wenig zum Leben ….

    Und all das wurde mir dann eines Tages zu viel, ich hatte das unbedingte Gefühl, die unglaubliche Schwere abschütteln zu müssen. Alles ist aufgeladen, es war für mich nichts Leichtes mehr dabei. Das spürt man vor allem in Amman, wo sich die politische Dimension in den Vordergrund schiebt. Die Jordanier sind bald die Minderheit im eigenen Land. Palästinenser, Iraker, Syrer sind in Amman allgegenwärtig und das in einem Land, das selbst zu wenig Wasser, Strom und im Grunde von allen Ressourcen hat, die man für das tägliche Leben braucht. Vor allem auch Geld, das unter anderem dringend nötig wäre, um die Belastungen durch die massive Umweltverschmutzung zu reduzieren. Die Gehälter, ich weiß es konkret von jungen Ärzten, sind so niedrig, dass man sich kaum vorstellen kann, wie sie sich das sehr teure Leben leisten können. Ausgenommen mein allerdings nicht mehr junger Arzt, der einer meiner wichtigsten Begleiter in Jordanien wurde. Er hatte trotz Warnung einen 19 Meter hohen geschmückten Christbaum im Garten. Die Ressentiments zwischen jordanischen Christen und Muslimen nehmen leider zu und führen dazu, dass einige von ihnen das Land verlassen.

    Die Flüchtlinge in Jordanien, die nicht von der UN versorgt werden, sind auf sich selbst gestellt, weil Jordanien nicht einmal für die eigene Bevölkerung ausreichend Geld hat. Man begegnet sehr vielen Menschen, die in irgendeiner Weise traumatisiert sind und kaum Möglichkeiten haben, dies zu verarbeiten. Es legt sich wie eine Schicht von konstantem Stress über das Land und alle warten darauf, ob das System kollabiert. Absurderweise hatte ich das Gefühl der Erleichterung, als ich Zarka, eines der größten Flüchtlingscamps für SyrerInnen in Jordanien endlich vor Augen hatte. Selbst der Anblick aus der Ferne auf die Zeltstädte hat geholfen, vieles von dem was immer da ist aber nicht angreifbar war für mich, endlich zu realisieren.

    Abschied

    Ich habe in Jordanien viel gelernt und möchte die Erfahrung nicht missen. Der fromme und nette Guesthouse Besitzer im wunderschönen Nirgendwo des Jordantals dessen erste Gäste wir seit vier Monaten waren, hat es so formuliert: „you cannot only pick the sweets, you must take the whole box“. Er hatte eine aufgeschlossene Tochter, mit der wir ein interessantes Gespräch führten. Er macht es also irgendwie richtig.

    So hat es sich bei meiner Ankunft angefühlt: Ankunft in Jordanien – Ramadan kareem

    Wadi Rum

  • Voices: Oud Player Aqaba, Jordan

    Mit Blick auf Sinai in Ägypten – eingekesselt von Saudi Arabien zur Linken und Israel zur Rechten. Einer der jungen Männer zückt unvermittelt seine Oud und beginnt zu spielen. Wunderbare Musik zum Sinnieren und Arabisch Lernen.

  • Places: Salome tanzt

    Jordanien: Zwischen Madaba und dem Toten Meer liegt mitten in den karstigen Hügelketten das Dorf Mkawir. Von dort führt eine römische Straße hinauf auf einen Kegel, auf dem sich die traurigen Ruinen des Palastes Machaerus, im wesentlichen in Form einer einzelnen aufrechten Säule und Mauerresten, befinden. Dieser Palast gehörte Herodes dem Großen König von Judea, und nach der Überlieferung tanzte Salome in diesem Palast für ihn, um ihr Opfer, Johannes den Täufer, einzufordern. Dieser Platz ist nichts, zeigt und hat nichts, und doch fühlt er sich für mich magisch an. Dort, und nur dort mit dem Blick auf die Hänge des Toten Meeres, würde ich ventilieren für einen großen König zu tanzen.

  • Der Sheikh

    drawing with pencil showing houses in al-Salt

    Ich bin mit meiner Freundin Anne nach al-Salt gefahren, einer alten schönen arabischen Kleinstadt nahe Amman. Al-Salt liegt auf den Hängen zwischen zwei Bergen und auf einer dieser Erhöhungen thront eine alte Burg. Diese wollten wir natürlich besichtigen und wir sind bei 40 Grad mittags die Stufen hinaufgestiegen. Nach einiger Zeit sind diese Stufen im Leeren gelandet, weshalb Anne Zweifel hatte, ob wir wohl am richtigen Berg wären. Da ich bereits am Ende meiner Kräfte war und keinesfalls zurückwollte, um drüben wieder hinaufzuklettern, habe ich mit allem Gewicht, das ich zur Verfügung hatte behauptet, wir seien schon richtig und bin zur Unterstreichung meiner Gewissheit in einen Privatgarten gesprungen, an dessen Mauer die Stufen endeten.

    Wir konnten unentdeckt hinaus huschen, auf der Straße hat uns dann ein Herr angesprochen und er meinte, wir wären quasi am Privatberg des Sheikhs und alle Häuser gehören zur Familie. Mit fehlenden Erklärungen, wie wir da hingekommen wären, habe ich mich auf Lächeln verlegt. Da wir uns in einem arabischen Land befinden, sind wir natürlich nicht verjagt worden, sondern bei einem Cafe im Haus des Sheikhs gelandet. Dieser ist bereits in den 70ern und strahlte richtige Autorität aus, er ist ein Freund des Königs und gehört einer der größten Familien in der arabischen Welt an. Dann kam noch der Sohn und Nachfolger und hat uns das älteste Haus der Familie mit einer unglaublichen Terrasse gezeigt, es gab Früchte, Datteln, Kaffee, Tee und nach einer Stunde hat uns der Driver zurück in die Stadt gebracht. Diese business card habe ich aufgehoben.

    Szenen aus al-Salt. Bilder und Skizzen von der Malerin Renate Teuchmann

  • Alltag in Amman – Normalität?!

    Der Alltag gestaltet sich in Amman als große Herausforderung, die täglich neu zu bewältigen ist. Sehr oft wollen wir einfach nur raus aus der Stadt. Das wirkt immer und lindert den unmittelbaren Druck. Es ist nicht leicht zu beschreiben, aber wenige halten es lange aus in Amman. Anbei ein paar Auszüge aus den Erfahrungen des täglichen Lebens:

    Dicke Luft in Amman und die Spezies der Taxifahrer

    Blick in den Staub vor dem UniversätsgebäudeIch sitze hier sehr schniek mit einem pinken, nassen Lappen im Genick an meinem Schreibtisch und habe soeben die Hoffnung aufgegeben, heute mein Arabisch weiter zu entwickeln. Uns hat vor 3 Tagen die Hitzewelle erwischt gepaart mit einer gigantischen Staubwolke, die Amman für einige Stunden völlig eingenebelt hat. Als die Staubwolke einfiel, stand ich gerade auf der Straße, um ein Taxi zum Zahnarzt anzuhalten. Das Taxifahren an sich ist ein riesiges Kapitel im Leben dieser Stadt, bei 10 Metern Sichtweite in der Rush Hour hat es sich als fast unbewältigbar herausgestellt. Da es in der Stadt kein organisiertes öffentliches Verkehrsnetz gibt, ist man auf Taxis angewiesen, außer man hat das Glück, einen Bus auf einer der Stadtautobahnen anzuhalten.

    Die Taxifahrer sind einerseits die Sklaven des Höllenverkehrs, andererseits gerieren sie sich als Diven für die man ein breites Repertoire entwickeln muss, sonst ist man einfach immobil. Ich habe mich diesbezüglich schon ziemlich entwickelt, einerseits habe ich mir arabischen streetslang angeeignet, den ich an der Uni natürlich nicht lerne, andererseits bereite ich jede Taxifahrt vor und das täglich. Die Araber orientieren sich nämlich nicht an Straßennamen, die abgesehen davon auf jedem Plan unterschiedlich heißen, sondern an Landmarks. Das ist für Nicht-Amman-Bewohner schier unmöglich, denn die Moschee tut es natürlich nicht, die gibt es in jeder Straße. Es war mir anfangs völlig rätselhaft, aber irgendwie funktioniert es.

    Das Schwierigste ist, ein Taxi zu bekommen, da sie entweder besetzt sind oder gerade nicht disponiert sind oder dein Ziel einfach nicht super finden. Die Kunst ist es dann während der Fahrt von der Bitt- in die Kampfstellung so überzugehen, dass es der Taxifahrer (es gibt nur ein Geschlecht in diesem Gewerbe) nicht bemerkt. Das betrifft Preisverhandlungen genauso wie Diskussionen über den Ehestand und die Anzahl der Kinder und vor allem die eigene Sicherheit. Unlängst musste sich meine Freundin Anne aus dem Taxi retten als der Fahrer aufgrund des Verkehrs ausgerastet ist und sein Schwert unter dem Sitz hervorgeholt hat, um damit auf einen anderen Autofahrer loszugehen. Das zählt zwar zu den Ausnahmen, aber richtig verwundert bin ich auch nicht gerade.

    Gelassenheit statt Ergebnisorientierung

    Apropos Bewältigung des Alltags, ich darf berichten, dass ich nach 5 Wochen meinen Antrag mit allen Stempeln und Unterschriften für die Registrierung zusammen hatte und beim Dean vorgesprochen habe. Ich muss zugeben, dass ich in einem fragilen Zustand bei ihm war, weil auf dem Weg dahin zu viele Behördenbesuche lagen. Ich war so glücklich, das geschafft zu haben, bis er mir mitteilte, dass alle meine Unterlagen für eine Person in Australien ausgestellt wurden. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, hat er eine sehr untypische empathische Haltungsweise eingenommen, sonst weiß ich auch nicht was passiert wäre. Alles von vorne konnte er mir nicht ersparen, inzwischen liegen meine Papiere im Innenministerium, von dem ich einen Stempel benötige, um einen Aidstest machen zu dürfen, mit dem ich dann zur Polizeistation gehen darf, um meine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Heute erhielt ich einen Anruf, dass sie eine schönere Kopie meines Passes möchten, ich darf also morgen nochmals nachreichen.

    Das Beruhigende daran ist, dass es nicht nur mir so geht, sondern allen – das aber blöderweise in jeder Lebenslage. Mein größtes Lernen war also, niemals und zwar wirklich niemals mit dem Anspruch irgendwo hinzugehen, etwas erledigen zu wollen. Man geht zur Post, zum Arzt, zum Magistrat – wohin auch immer zunächst einmal um die Lage zu sondieren und zu sehen, was es so gibt, wenn der Tag lang ist. Jedes Schriftstück und jede Auskunft muss mehrfach gegengecheckt werden, weil sie das nächste Mal sicher in bisschen anders ist oder jemand anderer gegenübersitzt oder….

    Hier geht es zum 1. Beitrag über Die Ankunft in Amman während des Ramadan.

  • Voices: Muezzin, Downtown Amman

    Amman, am Dach eines schäbigen Hotels in Downtown; Ramadan, abends, alles still; endlich! der erlösende Ruf zum Fastenbrechen (Iftar)

  • Ankunft in Jordanien – Ramadan kareem

    Ich bin nun zwei Wochen in dieser Stadt, und jeder Tag ist ein eigenes Projekt. Ich schwanke zwischen Jubel „Wow! Heute habe ich zum ersten Mal im Restaurant für eine vegetarische Bestellung kein Huhn bekommen“ und Schreien, weil eingesperrt auf der Toilette im leeren Amtsgebäude der Uni vor dem langen Wochenende nachdem ich heimlich Wasser getrunken habe. Um es kurz zu machen: Ja, ich wurde nach einiger Zeit gerettet, weil ich glücklicherweise mein Handy mit der Nummer der Uni bei mir hatte und vor allem, weil die Person am anderen Ende zufälligerweise Englisch konnte. Das war aber ein außergewöhnlicher lucky punch, den ich nicht so oft hier erlebe.

    Es ist schön in Amman, einer grauen, aber bewegten Stadt, die von sieben auf 19 Hügel angewachsen ist – und das – trotz dürftiger öffentlicher Infrastruktur. Iraker, Palästinenser, Syrer, derzeit Saudis (in 5-Sterne-Hotels gibt es auf den Zimmern in der Minibar Alkohol), Expats und nicht zu vergessen Jordanier. Im Moment ist allerdings alles nebensächlich außer Ramadan. Für die Muslime, die sich daranhalten, bedeutet das, ein Monat von 5 Uhr früh bis 8 Uhr abends nichts zu sich zu nehmen, das heißt kein Wasser, Essen, Tabak, alles verboten. Währenddessen wird hauptsächlich geschlafen und reduziert gearbeitet. Diejenigen, die arbeiten müssen, sind nicht in bester Laune, dafür ist um 8 Uhr Fastenbrechen, und dann geht das Leben los. Zuerst in den Häusern – kurz davor ist es mucksmäuschenstill in der Stadt – und dann auf der Straße. Für Nichtmuslime bedeutet das, ständig zwischen Dehydrierung und, in einer stinkenden Klokabine versteckt, heimlich Wasser Schlürfen herum zu jonglieren – beide Zustände inklusive Unterzuckerung und folgendem Fressanfall (es könnte ja das letzte Mahl sein) erlebe ich täglich. Weshalb man auch ohne Fasten ziemlich mitgenommen ist. Dazu kommt noch, dass wir StudentInnen (ich bin natürlich die Älteste, aber dazu ein andermal) untertags fit sein müssen, weil die Uni echt hart ist, und in der Nacht mithalten müssen, denn dann gibt es auf einmal etwas zu essen. In einem der wenigen legalen illegalen Cafés im christlichen Bezirk in Downtown das uns einmal Schutz und Wasser gegeben hat, saßen wir hinter zugezogenen Vorhängen und mit unterdrückter Lautstärke. Wir hatten ein gewisses Unruhegefühl, und die Tür war immer unter Beobachtung. Tatsächlich ist es in Jordanien so, dass die Polizei einschreitet, wenn Menschen auf der Straße Wasser trinken, ich möchte auch nicht die Reaktion der Fastenden erleben müssen.

     

    Ich bin nach einer Woche in Downtown nun zwar näher bei der Uni aber am Rande der Stadt gelandet – auf dem Dach des Hauses eines Freundes einer Freundin, auf dem es einen kleinen Aufbau gibt. In diesem Horst mit sehr rudimentärer Einrichtung habe ich die letzte Woche verbracht. Wenn ich von meinem Dach auf die karstigen Hügel hinunterschaue, sehe ich große Autos, die zu den letzten Häusern hinfahren. Und einen Esel, auf dem einer der sehr Armen, umgeben von stinkenden Schafen, auf den Hügeln hin und her reitet. Insgesamt eine wilde Mischung mit Hunden, die in den Hügeln leben, und Katzen, die rund um die Mülltonnen hausen. Die Familie von Mohammad, meinem Gastgeber, ist entzückend, und ich durfte gestern bei Iftar, dem Fastenbrechen, dabei sein. Mit meinen ersten Arabischkenntnissen habe ich zum Amüsement der Familie beigetragen. Meine Manner- und Pischinger-Schätze sind längst geleert, weil ich so viele nette und unterstützende Menschen kennen lerne. Der Grund warum ich hier gelandet bin ist der Ramadan. Apartments sind in durchmischtem Zustand, um es höflich auszudrücken, und teuer, weil so viele Menschen hierherkommen. Vor allem aber kann man sie nur zwischen 22 und 24 Uhr besichtigen, denn vorher wird gegessen und davor wird geschlafen.

    Ich ziehe als nächstes für zwei Wochen in ein Apartment nahe der Uni, weil ich versuche, höflich zu sein, und mich nicht dauerhaft auf dem Dach einnisten möchte. Höflichkeit ist allerdings ein arabisches Universum, das ich noch lange nicht verstehen werde.

    zum Hören: Muezzin in Down Town Amman

    zum Weiterlesen: Arabisch lernen – schweischwei

     

    Malerin Renate Teuchmann skizziert farbige Ansichten auf die Stadt Amman
    Amman, Renate Teuchmann

    Das Titelbild “Amman” stammt von der Malerin Renate Teuchmann aus der Serie Jordanienreise.