Tag: Kunst/Kultur

  • Erster Versuch Saudi-Arabien

    Erster Versuch Saudi-Arabien

    Das schnelle Ende und der unvollendete Anfang 2020

    Ein Jahr musste vergehen. Ich dachte, ich würde so schnell wie möglich einfach da weiter machen wo ich aufgehört hatte in der Wüstenstadt Riyadh, bei meiner ersten Entdeckungsreise in Saudi-Arabien. Es war mein Deal mit mir – zu gehen, um wieder zu kommen. Nun ja. Es bleibt auch noch nach einem Jahr ungewiss. Das schmerzt und deswegen schreibe ich jetzt nieder, was mich so bewegt hat in dieser kurzen Zeit. Ein Land, völlig unbefleckt, weil so befleckt. Ich wollte mir unbedingt mein eigenes Bild machen und mit Menschen ins Gespräch kommen, von denen man nie hört außerhalb der arabischen Welt.

    Freedom of thinking

    Freedom of speech ist also ideenlose Vordergründigkeit, die auf die Strukturen im Westen zugeschneidert ist. Die erste Frage aller Journalist*innen aus dem Westen und dabei so dumm, da sie alle anderen ausschließt oder gering bewertet. Freedom of speech sei eine vermeintliche Freiheit, da sie nichts dahinter verlangt. Freedom of thinking hingegen ist smart. Sie erhält die Würde und gibt Gestaltungsfreiheit bei der Wahl der Methoden und Zugänge, ohne dabei in totalitären Regimen das eigene Leben zu riskieren. Sie erfordert das intellektuelle und emotionale Durchdringen eines Themas und ein hohes Maß an Kreativität für ungewöhnliche Lösungen. Zu intelligent für die Zensur und gleichzeitig Standpunkte und Botschaften vermittelnd. Die Spielwiese und das Spezialgebiet des saudischen Künstler*innenkollektivs rund um Abdulnasser. And smart he is!

    freie Zusammenfassung nach Abdulnasser Gharem

    Ich ließ seine Sätze sickern. Er saß umrahmt von Bücherwänden mit wichtigen philosophischen Titeln und Schriften von Intellektuellen der ganzen Welt. Kunst braucht philosophische Auseinandersetzung und einen Überbau! Ich lächelte, der ehemalige Oberstleutnant der saudischen Armee war in seinem Vortrag sehr überzeugend und ich seine einzige Zuhörerin. Mein Blick schweifte im Raum herum. Die anderen Anwesenden waren Künstler*innen und Teil des Kollektivs. Für sie war das nichts Neues und nicht alle von ihnen sprachen englisch. Sie arbeiteten an einem Mosaik im Auftrag von Abdulnasser. Meine erste intellektuelle Diskussion in Saudi-Arabien und ich war beflügelt. Gleichzeitig war ich innerlich aufgelöst, da ich so glücklich war, dass sich mein Atelierbesuch gerade noch ausgegangen ist, bevor ich ein paar Stunden später zum Flughafen fahren musste. Die letzte Maschine aus Riyadh Richtung Europa. Wenn alles gut ging, könnte ich über Istanbul nach Wien fliegen. Ich hatte ein online Ticket aber ohne Bestätigung. Das war mir in dieser Minute völlig gleichgültig.

    Die letzten Stunden

    Ich wollte nicht weg aus Saudi-Arabien. So lange hatte ich gewartet, bis ich in dieses Land offiziell als Individualtouristin einreisen durfte, und jetzt Pandemie. Ladenschluß. Das dritte Mal auf meiner Reise, nach der unvollendeten Revolution im Libanon und der Staatstrauer um Sultan Qaboos im Oman. Ich war wütend und konnte mich doch nicht dem wohlmeinenden Druck von Freund*innen und letztlich dem Anruf der Botschaft entziehen. Abbruch.

    Ich machte keine Photos, ich wollte ganz präsent sein, zuhören und schauen. Sehen was passiert, was sich eröffnet. Wael, ein junger Künstler, der gerade in Dubai ein Projekt eingereicht hatte, führte mich durch die Zimmer. Seine Übertragung der Popart, Comics aus Amerika, Europa und Japan übersetzt auf heutige arabische Verhältnisse und doch auch wieder nicht arabisch. Global Smart. Dann war klar, dass ich gehen musste. Ich war schon viel zu lange da und was wollte diese Europäerin eigentlich, die nicht einmal Künstlerin war geschweige denn Philosophin, aber mit der man über so vieles reden konnte? Ich hatte einfach eine Email geschrieben, dass ich vorbeikommen und sie kennen lernen wollte. Ich hatte in einem Magazine in Dubai‘s Alserkal Art District von ihnen gelesen und war sofort fasziniert. Wie schafft es ein saudischer Künstler unter den bestehenden restriktiven Bedingungen, provokante Botschaften künstlerisch so eindrucksvoll umzusetzen? Ihn wollte ich kennen lernen und da war ich. Und wollte nicht weg.

    Ich war mir nicht sicher, ob ich Einlass finden würde, da ich Instruktionen nur per Social Media erhalten hatte und in der Straße nichts auf ein Künstlerstudio hindeutete. Erst durch einen Anruf konnte ich den völlig unscheinbaren Eingang finden und landete in einem Vorgarten, der nichts verriet und eher an einen Ablageplatz einer Werkstatt erinnerte. Vielleicht gibt es diese Adresse schon nicht mehr, denn bei meinem Besuch war bereits unklar, ob sie bleiben konnten.

    Ich verabschiedete mich und Wael umarmte mich sehr herzlich. Das war neu für mich, auf der arabischen Halbinsel kommt das selten vor bei Männern noch dazu in Zeiten von Corona. Aber er war sehr jung, eine neue Generation, erfrischend offen und unabhängig im Geist. Wenig später versuchte ich dem Taxifahrer klar zu machen, dass wir schnell sein mussten, was in Riyadh ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber ich musste noch meine Sachen von acht Monaten packen und rechtzeitig am Flughafen sein. Es gab keinen nächsten Flug, am Morgen würde der Flughafen geschlossen werden.

    Es war bereits dunkel, Hitaf war nicht zu Hause. Sie hatte noch Dienst im Krankenhaus. Emergency Unit. Ich hinterließ ihr einen Brief, denn ich musste einen Teil meiner Sachen zurücklassen. Ich musste froh sein, wenn ich in den Flieger durfte, Übergepäck kam nicht in Frage. Kurz danach saß ich wieder im Taxi. Es war eine lange Fahrt und ich nutzte die Zeit, um all jenen Menschen zu schreiben, die sich bereit gezeigt hatten mich zu treffen und eventuell sogar ein Interview zu geben. I will be back, es war mir klar, dass ich zurückkommen musste, um den Faden wieder aufzugreifen. Dort, wo ich ihn jetzt durchgeschnitten hatte.

    Welcome to Riyadh

    Dabei hatte alles so großartig begonnen. Niemals hätte ich mir gedacht, dass ich in meiner ersten Woche in Riyadh so viele beeindruckende Menschen, vor allem junge und Frauen kennen lernen würde. Ich war viel herum gekommen im Nahen Osten, trotzdem hatte ich keine Vorstellung, wie es sich wirklich anfühlt in Saudi-Arabien. Und selbst diejenigen, die zuvor dort gelebt hatten, kannten nur die Realität der Ghettos für die Ausländer*innen ohne Bewegungsfreiheit mit der Geschlechtertrennung und der allgegenwärtigen Sittenpolizei. Und das war jetzt alles Geschichte. Ich konnte alleine durch die Straßen flanieren und mich in ein Kaffeehaus setzen, ohne darauf achten zu müssen, den Fraueneingang zu nehmen, denn den gab es nur mehr als Relikt. Und all das innerhalb von wenigen Jahren. Ausradiert.

    Alles schien besser, unvergleichlich besser für die jüngere Generation, die ja das Davor, also die Zeit vor der Besetzung der Großen Moschee von Mekka 1979 und dem radikalen Schwenk nicht erlebt hatte. Alles, außer die Meinungsfreiheit oder präziser gesagt, freedom of speech. Es geht um Macht und Geld, so wie überall anders auch, aber die Mittel sind beängstigend und brachial. Am Tag, an dem ich gemeinsam mit 150 Fremd-Arbeiter*innen aus dem Oman kommend einreiste, platzte eine der vielen politischen Bomben. Nächste Angehörige und sehr mächtige Vertreter*innen des Königshauses wurden verhaftet. Ich hatte Sorge, dass es gröbere öffentliche Interferenzen geben könnte, nicht aber so in Saudi-Arabien.

    Ankunft mit Freunden

    Bei der Einreise war ich inmitten all der Arbeiter die einzige Frau und Touristin. Wie ich später erfuhr, ist es üblich, dass einige von ihnen Drogen schmuggeln, indem sie die Päckchen schlucken. Deshalb ließen sie uns nach den Wärmetests lange in der Schlange warten. Sie beobachteten, ob eine*r von uns Auffälligkeiten zeigte. Ein Mann war schon im Flieger nicht mehr ganz bei Sinnen, er taumelte und lallte. Ich war wütend, da er beim Einsteigen fast über mich fiel und ich forderte die umstehenden Kollegen auf, sich um ihn zu kümmern. Aber keiner von ihnen half ihm, sie wollten mit ihm nichts zu tun haben. Er war eine Gefahr für die Anderen. Danach hatte ich ihn aus den Augen verloren.

    Eine sehr nette und geduldige Einreisebeamte ließ sich von mir auf arabisch meine Passdetails erläutern. Ich stammelte, da ich soviele Aufenthalte und speziell die im Iran und in China rechtfertigen musste. Aufgrund der Pandemie waren die beiden Herkunftsländer verboten. Sie war sehr nett und honorierte meine Bemühungen. Ich war schweißgebadet, sie war mein erster Kontakt mit den saudischen Behörden. Als Alleinreisende hatte ich mich davor natürlich eingelesen und die Berichte über die Feministinnen und Widerstandskämpferinnen im Gefängnis hatten meine Phantasie beflügelt. Schließlich kann man meine Positionierung sehr leicht öffentlich im Internet nachlesen. Aber im Gegensatz zu den israelischen Einreisebehörden, die umfassende Kenntnis über mich hatten, schien ich sie nicht weiter zu interessieren. Schließlich war ich eine der ersten Touristinnen und die sind für einen zukünftigen Wirtschaftsumschwung gefragt.

    Fortsetzung folgt!

  • Mein Jetzt Viertel

    Mein Jetzt Viertel

    Lokalisierung – über die Grenzen meines Viertels

    Mein Viertel macht wahrscheinlich nicht einmal ein Achtel meines Bezirks aus, ist aber größer als mein Grätzl. Es finden sich die unterschiedlichsten, die Phantasie anregenden Namen wie zum Beispiel das Fasanviertel, das Rochusviertel oder das Weißgerberviertel und viele mehr, die von der Innenstadt bis nach Simmering reichen. Die vielen Viertel in diesem großen Bezirk sehen sehr unterschiedlich aus und spannen einen politischen und gesellschaftlichen Bogen von der gehobenen Klasse in den Botschaftsvierteln bis zu den Arbeitervierteln auf. Mein Viertel hat keinen Namen, weil ich die Grenzen abgesteckt habe. Es enthält die wichtigsten Stationen für meinen Alltag und mein Wohlfühlen. Es ist nur für mich entstanden und so zu meinem Viertel geworden.

    Ich mag mein Viertel, weil es ein wenig abgelegen ist und nicht eindeutig irgendwo dazu gehört. Zwischen dem vielbefahrenen Donaukanal bis zur Landstraße und noch weiter bis zur Ungargasse. Unweit vom Hundertwasserhaus, das derzeit, erstmals seit ich hierhergezogen bin, nicht von Tourist*innen und Photograph*innen belagert wird. Ich mag besonders gerne die große Kirche mit dem Platz davor und die Verlängerung durch das Viadukt zum Radetzkyplatz. Dieser Bereich hat etwas Heimeliges, er lädt zum Verweilen ein; auf einer der Bänke vor der Kirche beim Brunnen oder in einem der Cafes. Menschen, die hierherkommen, kommen gezielt. Es gibt kaum Durchzugsverkehr und viele Wiener*innen sind noch nie in diesem Eck gelandet. Sonst müssen sich Menschen verirren, um den Weg hierherzufinden.

    Mit dem Donaukanal, an dessen Ufer man entlang spazieren kann, ist das Wasser in Wien in mein Leben getreten. Ich liebe es, flußabwärts zu gehen und mitzuschwimmen ohne einzutauchen. So beginne ich auch zu fließen und lasse mich treiben. Das Viertel erscheint dann auf einmal grenzenlos, es erstreckt sich nach Niederösterreich, Bratislava und den Balkan bis zum Schwarzen Meer. Erst außerhalb meines Viertels mündet der Kanal in den Donaustrom und erhält durch die Vereinigung den Hauch der großen Welt. Ganz im Gegensatz zu meinem Viertel, das einen lokalen Charakter hat, sobald man dem Zentrum Wien Mitte den Rücken kehrt.

    Was blieb – historische Spuren und Treffer mitten ins Herz

    Ich wäre sehr enttäuscht gewesen, hätten nicht sowohl Mozart W.A. als auch Beethoven L.v. zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Schaffens auch im dritten Bezirk residiert. Letzterer erst 18 Jahre nach Ersterem, sie sind sich also in meinem Viertel nie begegnet. Für beide war der Aufenthalt im dritten Bezirk eine Durchgangsstation in ihrem abwechslungsreichen Künstlerleben, nur Mozart kehrte nach seinem Tod zurück und weilt nun auf ewig in St. Marx.

    Anders hingegen bei Ingeborg Bachmann. Zu der Zeit, als ich begann, Ingeborg Bachmann’s Bücher zu lesen, kannte ich Wien kaum geschweige denn mein Viertel. Damals las ich von ihrer Wohnung in der Ungargasse, der Straßenbahn, mit der sie nach Hause fuhr und ihren Spaziergängen im Viertel. Meine inneren Bilder von dieser Gegend entstammten also vorwiegend einem Prosawerk einer berühmten und von mir verehrten Autorin. In meinem Kopf waren sowohl das Haus als auch die gesamte Ungargasse grau und wenig reizvoll. Auf eine unbeschreibliche Weise geheimnisvoll, verlor ich mich in ihrem Ungargassenland. In der gleichen Straße also, in der Beethoven seine 9. Sinfonie vollendete, verortete Ingeborg Bachmann ihren Roman, in dem sie Ivan, Malina und die Ich-Erzählerin ansiedelte. Da, wo sich in monarchischen Zeiten die Gast- und Raststätten für die Reisenden aus Ungarn niederließen, verbrachte eine junge Frau aus Klagenfurt die Nachkriegsjahre und brannte ihre Erinnerungen später in ihre Werke ein. Als ich das erste Mal, nachdem ich schon lange in Wien gewohnt hatte, einen Ausflug in die Ungargasse unternahm, wähnte ich mich also gedanklich auf den Spuren großer Menschen. Damals, in den 1990er Jahren, fand ich weder Ungarn noch eine Vielzahl an Gaststätten, die an die Reisenden erinnern könnten, aber ich fand das Grau und es fühlte sich an, als wandle ich in den billigen Schuhen einer jungen Frau der Nachkriegszeit und ich zog meinen Mantel noch enger, so wie die Ich-Erzählerin in Malina.

    Nur wenige Jahre später, nämlich 1995, saß ich weit weg in Nordengland in einem großen Kinosaal und die Tränen liefen mir über das Gesicht. Das zweite Mal innerhalb eines Jahres verspürte ich so etwas wie Heimweh, als ich Celine und Jesse über die schmale Brücke den Donaukanal in den dritten Bezirk queren sah. Natürlich „before sunrise“, denn danach waren sie vereint und mussten sich doch trennen. Das geschah zuvor erst einmal als ich, um meinen Mitbewohner zu ärgern, nach 8 Stunden Cricketmatch im Fernsehen auf irgendeinen Kanal umschaltete, und plötzlich Rex seine unbarmherzig treuherzigen Augen auf mich richtete, während sein Kommissar kluge Sprüche mit britischem Akzent von sich gab. Das war ein einmaliger Treffer mitten ins Herz einer begeisterten Auslandsstudentin. Celine und Jesse hingegen begleitete ich über all die Jahre durch all ihre Episoden, obwohl sie meinem Viertel inzwischen Paris und eine griechische Insel vorzogen. Es bleibt abzuwarten, ob Richard Linklater die beiden nach Jahren der Irrungen wieder nach Wien und in mein Viertel führt. So wie Kath Bloom in ihrem wunderschönen Titelsong “Come here” singt: “ … it‘s gonna be allright this time”. Eines Tages, wir werden sehen. Sie müssen ja nicht gleich hier begraben werden, auch wenn (die Musikgruppe) Wanda singend prophezeien: „sterben wirst du leider in Wien“ und es sich neben Mozart sicher gut bettet.

    Aber jetzt – mein Viertel ist mein Jetzt

    Ich bin erst vor fünf Jahren hierhergezogen und verband damals keine persönlichen Erinnerungen mit diesem Teil der Stadt. Nichts Aufregendes findet sich hier, sondern urbane Normalität. Das ist einer der Gründe, warum ich mein Jetzt-Viertel liebe. Es ist down-to-earth und lebensnah wienerisch durchmischt. Die Heterogenität der Wiener Bevölkerung findet sich wieder und ich weiß an jeder Ecke, dass ich in Wien bin. Mein Viertel ist mein Jetzt, denn es bildet nur die letzten fünf Jahre meines Lebens ab und markiert einen Neuanfang in meinem Leben. Es ist noch mehr „jetzt“, da ich die letzten fünf Jahre sehr wenig Zeit in diesem Land, dieser Stadt, meinem Viertel verbracht habe. Unabhängig davon, wie kurz oder lang, weit weg oder doch sehr nah ich war, ich kam immer gerne zurück. Es gibt für mich nicht wirklich einen Ort der Heimat als physische Repräsentanz mit genauen Koordinaten. Ich finde Heimat an vielen Plätzen, die Wärme ausstrahlen und an denen ich Verbindungen herstellen kann.

    Verbindungen zu den Menschen, die ich dort antreffe, Verbindung zu der Natur, die mich umgibt, und vor allem Verbindung zu mir selbst. Mein Viertel ist einer dieser Plätze. Wo auch immer ich gerade bin, denke ich mit einem wohligen Gefühl an die Straßen, den Platz vor der Kirche, an dessen Ecke das Haus und hoch oben meine Wohnung. Ein Gefühl der Sicherheit und Wärme durchströmt mich, hier kann ich ruhen. Ein Ort, um Kraft zu tanken und dann wieder loszuziehen in die weite weitere Welt.

    Mein Viertel ist mein Jetzt, denn noch nie zuvor habe ich so viel Zeit hier verbracht. Aufgrund von Covid-19 musste ich meine Reise abbrechen und früher als geplant zurückkehren. Das unfreiwillige Element hat mich die ersten Tage erstmals nicht einfügen lassen. Ein lock-down Empfang ist kein Willkommen und erschwert das Ankommen. Das Eingesperrtsein in meine Wohnung und mein Viertel hat unserer Beziehung zunächst nicht gutgetan. Zwang ist kein guter Mediator. Bald hat sich bei mir aber das Gefühl der Sicherheit eingestellt. Mein Viertel hat mich nach ein paar Tagen der Orientierungslosigkeit wie eine Wabe umgeben. Ich habe mich wochenlang nur in der Schutzhülle meines Viertels aufgehalten und tunlichst vermieden, dessen Grenzen zu überschreiten. Dabei habe ich es neu für mich entdeckt.

    Ich habe einen neuen Blick entwickelt, der Details aufnimmt, die ich zuvor nicht wahrgenommen habe. Seien es Gassen, in denen ich zuvor nie gegangen bin, architektonische Details an Häusern oder Bäume und Pflanzen, die mir zuvor nie aufgefallen waren. Besonders erfreut haben mich Klänge und Geräusche, die in der allgemeinen Stille auf einmal hörbar wurden. Es waren vorwiegend Vogelgeräusche unterschiedlichster Natur, denen ich nachgehört habe und die so schön waren, dass ich mich bemühte, sie zu differenzieren. Auch die Luft schien anders und klarer und ich nahm erstmals bewusst den Geruch meines Viertels wahr. Diese neuen Intensitäten und das Erfahren mit allen meinen Sinnen haben die Beziehung zu meinem Viertel gestärkt und auf eine neue Ebene gehoben. Ich habe erfahren, dass ich hier sicher bin. Gut aufgehoben. Das bleibt.

    Salam Kalam und Salam Orient

    Ich habe diesen Text im Rahmen der Schreibwerkstatt Salam Kalam verfaßt. Für unsere Arbeiten haben wir Inspirationen von SchriftstellerInnen der Seidenstraße aufgenommen; unter anderen auch von Rafik Shami’s Text über sein Viertel in Damaskus aus “Eine Hand voller Sterne”. Das Salam Orient Festival gibt uns nach einem intensiven Sommer Kreativen Schreibens unter der Leitung von Helga Neumayer nun die Möglichkeit, Auszüge unserer Texte im Rahmen von zwei Lesungen vorzustellen.

    Die zweite Lesung des Salam Orient Festivals findet am 13.10.2020 mit den AutorInnen Hamed Abboud, Sarita Jenamani, Aftab Hussein, Traude Pillai und den TeilnehmerInnen des Schreibzirkels statt. Live Musik gibt es von Sarvin Hazin (Kamanche) & friends.

    Die HerausgeberInnen Sarita Jenamani und Dr Aftab Husain haben Texte unseres Schreibzirkels in ihrem digitalen Magazin Words and Worlds veröffentlicht. Words and Worlds ist eine bilinguale Zeitschrift für MigrantInnenliteratur. Salam Kalam ist darin eine kleine Sonderausgabe.

  • Playdoyer für das Wüstenwandern (2)

    ein, zwei, drei, vier, fünf Sinne

    Das Erleben der Wüste ermöglicht die Erfahrung der Leere und der Weite, des Sternenhimmels in der Nacht und der unberührten Natur. Wir werden konfrontiert mit uns selbst, ein Spiegel der Seele wird uns vorgehalten durch die Reduktion jeglicher Außenimpulse, seien es Lärm, visuelle Reize, Licht wenn es eigentlich dunkel ist, Kontakte mit anderen und soziale Anregungen. Auf diese Weise wird einem wieder nähergebracht, was wirklich wichtig ist, und was nicht. Demut und Respekt vor dem Leben, der eigenen Machbarkeit. Unser Wach-Schlafrhythmus passt sich der Natur an. Wir gehen bald nach Dunkelwerden schlafen, wachen spätestens mit dem Sonnenaufgang auf und erleben dabei, wie sich der eigene Rhythmus mit dem Licht verändert. Innere Wünsche, vielleicht tief verborgen, werden wiederbelebt, weil auf einmal Raum dafür da ist. Unsere fünf Sinne werden in ihrer Gesamtheit angesprochen, eben weil nicht einer alleine ständig überbeansprucht wird. Das Gefühl, wenn feiner Sand durch die Finger rieselt, barfuß gehen auf einer Dünenkante, der Sonnenuntergang mit dem Hereinbrechen plötzlicher Dunkelheit oder die Wärme des Feuers in der kalten Nacht und die vollkommene Stille …

    Vieles berührt, das sonst untergeht und die Sensibilität wird wieder geschärft. Das Gehen, im Sand zählt jeder Schritt, erhält eine meditative Wirkung, die sich in einer Landschaft der Weite und des ewig-gleichen Horizonts noch verstärkt. Es erzeugt die Ruhe, in sich zu kehren, ohne äußere Ablenkung. Für manche eine Bedrohung, für andere eine Chance, wieder zu sich zu kommen.

    Aus der Reduziertheit in eine neue Fülle

    Mein Lernen aus den Erfahrungen des Wüstenwanderns zeigt sich auf unterschiedlichsten Ebenen, die auf den ersten Blick vielleicht gar nichts mit der Wüste zu tun haben. Prioritäten ordnen sich neu, manches, das zuvor wichtig oder belastend erschien, erhält danach einen anderen Stellenwert oder verliert sein bedrohliches Potenzial. Diffuse Ängste können sich erhellen und auflösen, wenn sie dem konkreten Erleben gegenübergestellt wurden. Am meisten zählen für mich aber die neuen Horizonte, die sich auftun und neue Möglichkeiten aufzeigen, an die ich zuvor in meinen Routinen und dem Üblichen nicht gedacht habe oder nicht zu denken gewagt habe. Und danach, zurück in der Fülle, erscheint alles bunt, farbenfroh und lebendig.

    Emptiness is not nothingness

    Wüstenwandern ermöglicht auch Erfahrungen, die uns unserer Weisheit näher bringen. In manchen spirituellen Texten werden die Wüste oder ihre Begleiterscheinung als Parabeln herangezogen wie zum Beispiel in der Bibel. Barbara Rauchwarter schreibt in ihrem Buch “Genug für alle” im Zusammenhang mit dem Auszug der Juden aus Ägypten: “Kaum ein Ort macht den Schrecken von Raum so deutlich wie die Wüste. Denn sie ist wie leerer, endloser Raum. Sie läßt das eigentlich Räumliche, das Körperhafte vergessen. Vielleicht kann sie deshalb zu einem Ort der Gotteserfahrung werden. Gott sprengt alles Räumliche.”

    Die räumliche Erfahrung der Leere in der Wüste ermuntert dazu, diese auf unsere Existenz zu übertragen und zu reflektieren. Für die Buddhisten gilt: “emptiness is not nothingness it is the wisdom”. Thich Nhat Hanh erklärt das anschaulich und er sagt: “You (every person) are full of the cosmos but you are empty of a separate self. You are a lineage.”

     

    Zuletzt noch eine Warnung! Wer einmal einsteigt, der kommt nicht so schnell wieder los. In dem Artikel über das erste Mal in der Rub al-Khali beschreibe ich diese Erfahrung als imprint, die Wüste hat sich mir eingebrannt. Alfons Gabriel hielt Folgendes fest:

    …[die Wüste] Entsetzten bedeutet sie dem ihr Fremden ; unstillbare Sehnsucht zu ihr zurückzukehren, legt sie in das Herz dessen, der sie kennengelernt hat in ihren Herrlichkeiten und Schrecken. Eisern hält die Wüste den fest, der ihrem Bann einmal verfiel.

    Alfons Gabriel, österreichischer Arzt und Forschungsreisender, aus seinem Buch: Durch Persiens Wüsten, 1935

    Gute Reise!

     

    Wichtige Referenzen:
    Barbara Rauchwarter, Genug für alle, Biblische Ökonomie, 2012. Wieser Verlag
    Das Foto mit Weitblick stammt von Uta

    Zu Teil 1 der Überlegungen über das Wüstenwandern: Playdoyer für einen Sidestep aus der Komfortzone
    In den Berichten von den unterschiedlichen Touren gibt es mehr Wüstenphotos.

  • Playdoyer für das Wüstenwandern (1)

    Grenzen erfahren

    Sich in die Wüste begeben und diese zu durchwandern ist für durchschnittliche EuropäerInnen gewissermaßen eine Extremsituation. Bis zu 30 Grad Temperaturunterschied innerhalb eines Tages, Sandstürme und andere unerwartete Wetterereignisse, die Strapazen des Gehens in der Wüste und speziell auf Sanddünen, der Schutz des Körpers vor der aggressiven Sonne bei Tag und der Kälte in der Nacht, die hygienischen Limitationen, die eingeschränkte Verfügbarkeit von Wasser … ich möchte keine abschreckende Liste entwerfen, sondern nur aufzeigen, dass es sich hier um elementare Erfahrungen handelt, die an die menschliche Substanz gehen. Es sind Bedingungen, denen wir uns im Alltag niemals freiwillig stellen würden. Warum sich also so weit außerhalb der Komfortzone begeben? Nur um die Schönheiten der Natur zu entdecken und genießen?

    It’s not all about beauty …

    Die eigene Komfortzone zu verlassen ermöglicht ungewöhnliche Lernimpulse. Das persönliche Durchleben einer völlig fremden Situation, die starke Emotionen wie Angst oder Glücksgefühle auslöst, wirkt als Katalysator für eigene Verhaltensänderungen. Aus meiner Sicht bietet die Wüste jedem Lernenden einen perfekten Erfahrungsraum. Mir eröffnet das Erlebnis – zu Fuß unterwegs in der Wüste – jedes Mal von neuem außergewöhnliche Eindrücke.

    Komfort lass los!

    Die Reduktion auf Basisbedürfnisse und das Zurückstecken jeglichen Komforts zeigt mir klar die Begrenztheit meines Handelns und Wirkens auf. Für mich ist das eine heilsame Erfahrung, weil wir ja in unserer Kultur darauf ausgerichtet sind, alles und vor allem unsere Umwelt kontrollieren und planen zu können. Es wäre natürlich fatal, sich ungeplant der Wüste auszusetzen, es braucht viel und sorgsame Vorbereitung, um so eine Tour auf die Beine zu stellen, und dazu auch die richtige Begleitung. Aber sobald man in der Wüste ist, kann man nur mehr innerhalb des Ermessensspielraumes agieren. Und dieser entscheidet sich immer im gegenwärtigen Moment – dann, wenn man direkt damit konfrontiert wird. Der Fokus verschiebt sich auf das Sein und den aktuellen Moment Der Alltag zu Hause und das Außen verlieren sofort an Bedeutung und verschwinden so lange, bis man wieder in die Zivilisation zurückkehrt.

    Der Schutz des eigenen Körpers wird zur vordringlichen Aufgabe, denn das Übersehen von Details kann schnell sehr schmerzhaft werden. Eine gute Übung. Unter diesen Bedingungen kann man nicht wählen, sondern muss sich ständig um die Erhaltung der eigenen Körperfunktionen kümmern. Das Gelingen ist daher eine tiefe Befriedigung, denn das liegt wirklich in der eigenen Hand, das hat man tatsächlich selbst geschafft. Es tut gut zu erleben, dass so vieles „ohne“ möglich ist, also ohne Wasser zum Waschen, Toilette und ohne elektrisches Licht und Strom, Internet und jegliche Außenkontakte auszukommen. Selbstgewählte Unerreichbarkeit, wo ist das heute überhaupt noch möglich?

    Einer, der in der Wüste seine Grenzen ausgelotet und dafür sich selbst gefunden hat: Mubarak Bin London

    p.s. ein guter Test für eure Aufmerksamkeit: wer hat das Kamel am Bild entdeckt?

  • Der Trost des Nachthimmels

    Der Trost des Nachthimmels

    Wenn du den Nachthimmel lange genug beobachtest, begreifst du, dass jeder Stern allein und unendlich weit vom nächsten entfernt ist, aber dass sie alle einem Gesetz unterliegen und dass dieses Gesetz ihre Einsamkeit aufhebt. Es verbindet sie, stellt Beziehungen zwischen ihnen er, es beginnt ein Gespräch unter ihnen, selbst wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. So muss es auch mit den Menschen sein,“ …. „Wir sind tatsächlich allein und jeder für sich, aber wir wissen, dass es ein Gesetz gibt, das uns verbindet, weil wir ihm alle unterliegen. Solange es existiert, solange es uns verbindet, sprechen wir mit unseren unbekannten Brüdern.

    aus Der Trost des Nachthimmels

    Begegnung mit dem bosnischen Autor Dzevad Karahasan und seinem Roman Der Trost des Nachthimmels

    Es ist ein Erlebnis, den Roman zu lesen und ein Ereignis, mit dem Autor über seinen Roman und noch viel mehr zu sprechen. Dzevad steckt voller philosophischer Betrachtungen über die Kunst des Lebens und überträgt diese auf das Leben in restriktiven politischen Systemen. Das persische Mittelalter als Spiegelbild von heute. Omar Khayyam als mathematisches Genie, Astronom, Poet – und als Mensch in einem Entwicklungsroman. Auf der Suche nach der Wahrheit, die es nicht gibt.

    Gemäß seinem Glaubenssatz „Die Welt kann man nur über das Narrativ erklären“ hat Dzevad Karahasan seinen Roman über Omar Khayyam geschrieben und damit ein aktuelles Bild der Herausforderungen unserer Zeit entworfen. „Die Wahrheit offenbart sich im Dialog“ (Platon) war die Grundlage unserer Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Roman. Zwei Themen haben mich aufgrund ihrer Aktualität besonders berührt: Der Paradiesblick, den zu bewahren in unserer Gesellschaft zur hohen Kunst geworden ist und die allgegenwärtige Angst, die uns manipulierbar macht.

    Der Paradiesblick…

    Omar Khayyam glaubt als junger Mensch und Wissenschaftler, dass es eine Wahrheit gibt. Im Laufe des Romans begreift er die Wertlosigkeit der Wahrheit in der Auflösung eines komplexen Kriminalfalles mit vielen Wahrheiten. Menschen wie Omar Khayyam leben in einer Welt der Konstrukte. Ihnen ist der Paradiesische Blick verwehrt, der ermöglicht mit der Naivität und Offenheit eines Kindes wahrzunehmen, die Dinge so zu sehen wie sie sind und nicht wie sie sich gemäß bestimmter vorgefasster Erwartungen in einem Koordinatensystem darstellen. Eine Qualität, die vielen Menschen im Laufe des Erwachsenwerdens abhandenkommt und die nur mühsam erlernt werden kann. Khayyam lernt das Unmittelbare wahrzunehmen, das Zeichen an sich und nicht das, was dahintersteht.

    Angst…

    Angst bestimmt den Menschen. Despoten sind von Angst getrieben. Omar Khayyam lebte in einer Zeit, als im Westen Heiden und im Osten Mystiker umgebracht wurden. Ich-Zentrierung der Herrschaft und Egoismus waren damalige Formen des Fundamentalismus, sie muten aber sehr heutig an. „Der Mensch ist ein Wesen der Angst” und  “durch die Angst verschließen wir uns vor dem Leben” zeigen klar auf, vor welchen Herausforderungen wir auch jetzt stehen.

    Im Gespräch – Die Literatur erinnert uns daran, was für Wesen wir wirklich sind:

    Das Titelphoto zeigt den großartigen Meidan-e Imam in Isfahan bei Nacht. Den großen Platz, genannt der Bauplan der Welt, querte auch Omar Khayyam mit seinen Gefährten.

    Danke an die Gea Akademie für die Idee und Organisation von Perlen wie dieser.

  • Wilfred Thesiger – der gesegnete Sohn Londons in den Arabian Sands

    Wilfred Thesiger – der gesegnete Sohn Londons in den Arabian Sands

    Meine Ausgabe von Arabian Sands (Wilfred Thesiger, 1959) ist schon völlig abgegriffen. Vier Mal habe ich sie bereits gelesen, und immer wieder faszinieren mich die Beschreibungen dieses sehr ungewöhnlichen Briten. Als hochgebildeter Abgänger von Eliteschulen in England, hat er die westliche Lebensform verachtet und jede Möglichkeit gesucht, sich fernab zu bewegen. Dabei scheint ihn die Wüste auf der arabischen Halbinsel besonders bewegt zu haben. Zwei Mal hat er die Rub al-Khali zwischen 1946 und 1948 durchquert. In seinen Schilderungen geht er, neben ausführlichen Beschreibungen der Reiserouten, insbesondere auf die Lebensweise und sein Zusammenleben mit den Beduinen ein, mit denen er für seine gewagten Vorhaben eine Schicksalsgemeinschaft einging. Denn damals herrschte noch Krieg zwischen den Stämmen.

    “In those empty wastes I could find the peace that comes with solitude and, among the Bedus, comradeship in a hostile world.”

    Thesiger, W. (1959). Arabian Sands.

    Einer von ihnen: Mubarak bin London

    Dabei hat sich Wilfred Thesiger in einem Ausmaß assimiliert, das für einen Mann mit seinem Hintergrund außergewöhnlich wirkt. Wahrscheinlich wird er deshalb nach wie vor auf der gesamten arabischen Halbinsel verehrt, und nicht seine beiden Vorgänger, die für ihn gewissermaßen den Weg bereitet haben. Die Araber haben ihn als Mubarak bin London verewigt, das bedeutet so viel wie der “gesegnete Sohn Londons”.

    Nachtrag: It’s a men’s world – damals konnten Männer noch Männer sein. Als seine Leserin teile ich Thesigers Liebe für seine beiden Begleiter Bin Kabina und Bin Ghabaisha uneingeschränkt. Sie sind die Helden von Arabian Sands.

    Alle drei Abbildungen sind Photos von Darstellungen im Jahili Fort Museum in Al Ain, Abu Dhabi. Dort wurde ein Museum für Wilfred Thesiger alias Mubarak bin London eingerichtet.

    Literatur: Thesiger, W. (1959). Arabian Sands.

  • Wieso arabisch?

    Was hat mich angetrieben? I don’t care I love it! So viele Rechtfertigungen und gute Gründe sind notwendig, damit es für andere nachvollziehbar wird. Dabei ist es ganz einfach. Wir wählen, wovon wir uns einen Mehrwert erhoffen. Ob ergebnisorientiert oder metaphorisch. Lernen, das Unbekannte, das Alte, das Mystische, das Angefeindete und Unverstandene. Mit der Hoffnung auf Erkenntnisse für das Neue, für Wachstum, Verstehen des Bestehenden mit all seinen Unterschieden, Akzeptieren. Neues Denken bringt neues Empfinden oder neue Qualitäten desselben zum Ausdruck. Neue Welten eröffnen und sich selbst wieder als Entdecker/in fühlen, eintauchen können, mit der Naivität eines Kindes. Von ganz vorne anfangen dürfen. Für manche Bedrohung, für manche Luxus, eine zweite, dritte Chance für die eigene Ganzheit.

    Katja von einem Kalligrafen in Dubai kunstvoll auf arabisch geschrieben
    von einem Kalligraphen aus Dubai

    Annäherung über das Schöne

    Zuerst habe ich mich in die Ästhetik der Sprache verliebt. Die Kalligraphie, die Schönheit des geschriebenen Wortes, die zur Kunstform erhöht wird, und die Kombination mit dem rauen Klang, erdig und reduziert. Die Sprache an sich ist poetisch und die Poesie wirkt daher auf mich wie ihre natürliche Ausdrucksform. Das Spannendste für mich ist aber das Eindringen in eine andere Art des Denkens, die sich in der arabischen Lebenshaltung widerspiegelt.

    Eine neue Sprache eröffnet eine neue Welt

    Die arabische Sprache mit ihrer Grammatik belässt einen im Wesentlichen im Hier und Jetzt. Ohne dass es für das „Sein“ ein eigenes Wort verschwenden würde. „Es ist (einfach)“ in Bezug auf ein Objekt. Das zeitliche Geschehen spielt sich in der Gegenwart und in einer Vergangenheitsform ab, die Zukunft ist grammatikalisch möglich, aber sie wird kaum verwendet, denn wer bin ich schon, dass ich sagen kann was sein wird? Hier wird an die höhere Macht des Schicksals appelliert, diese aber auch in vollem Ausmaß akzeptiert. Inshalla! birgt gewissermaßen auch eine Demut vor dem Leben und reduziert die individuelle gestalterische Kraft des Menschen.

    Diese Haltung widerspricht unserem westlichen Machbarkeitsstreben und hat in Bezug auf unsere Ausrichtung auf Effizienz eine beeinträchtigende Wirkung. Der Planbarkeit werden auf diese Weise natürliche Grenzen gesetzt. Als gelerntes Selbstverständnis der einen, aber zum Entsetzen der anderen, der internationalen Business Community und dem wirtschaftlichen Wachstum.

    Das Beherrschen als unerreichbares Ziel, dafür die Poesie gefunden

    Einen Schatz gehoben, kostbar und in seinem Mehrwert nicht zu beziffern. Die arabische Literatur, alt und modern, ist überwältigend, reichhaltig und eröffnet mir immer wieder neue Horizonte. Noch kann ich mich ihr nur auf dem Weg der Übersetzung nähern, wenn man von bilderreichen Kinderbüchern absieht. Die kurze Erfahrung lehrt mich, meine Ziele zurückzuschrauben, aber die Ambition hoch zu halten. Anders werde ich nie ein arabisches Buch lesen oder in einen ernsthaften Dialog treten können. Womit ich eines meiner Lebensziele offengelegt habe. Wir werden sehen, Inshalla!

    Zum Hinein hören: Don’t live a half life, Gedicht von Khalil Gibran

    Beitragsbild: alte Schrifttafeln im Kalligrafie Museum in Sharjah, UAE

  • Saadi aus der Feder von Hossein Fallahi

    Portrait des Poeten Saadi von Hossein Fallahi

    Jeden Tag ging ich an seinem Geschäft vorbei und starrte minutenlang in die Auslage. In Isfahan gibt es noch viele Geschäfte mit Miniaturmalerei, aber für mich gab es nur das eine. Die Kunstfertigkeit seiner Darstellungen ist überwältigend. Jedes mal, wenn ich davor stand, suchte ich einen unbedingten Grund, warum ich hinein gehen sollte, aber weder war Platz in meinem Gepäck noch hatte ich ausreichend Bargeld. Ich hatte gedanklich alles durchgespielt, Familie, Freunde, niemand hatte eine Jubiläum oder hätte große Freude an einer persischen Miniaturmalerei mit 2000 Jahre alten vorwiegend kriegerischen Szenen gefunden. Am letzten Tag, an dem ich eigentlich schon in Wien sein sollte, aber das ist eine andere Geschichte, bin ich jedenfalls hinein spaziert, und da saß links neben der Tür der Meister selbst.

    Im Türkensitz auf einer Bank, thronte er und malte. Ich grüßte freundlich, schaute mich um und besprach so manches mit der Verkäuferin. Dann sprach er mich an, und wir begannen uns über Wien, Präsidentenwahlen und die Welt zu unterhalten, bis er mich einlud, mich zu ihm zu setzen. An irgendeiner Stelle musste ich gestehen, dass sich meine Liebe zur Malerei auf deren Betrachtung beschränkt. Ein leicht verächtliches Lächeln umspielte seine Mundwinkel und er meinte, wenn ich nur schreiben könne, dann müsse eben er für mich malen. Er nahm ein Blatt Papier von seinem Block, setzte den hauchdünnen Pinsel an und zeichnete hochkonzentriert, in einem Lauf dieses Portrait des Poeten Saadi, dasselbe, das er auch für Heinz Fischer bei seinem Staatsbesuch in Iran, gemalt hatte. Dann unterhielten wir uns über seinen Besuch in Wien, den Prater ….

  • Voices: Oud Player Aqaba, Jordan

    Mit Blick auf Sinai in Ägypten – eingekesselt von Saudi Arabien zur Linken und Israel zur Rechten. Einer der jungen Männer zückt unvermittelt seine Oud und beginnt zu spielen. Wunderbare Musik zum Sinnieren und Arabisch Lernen.

  • Der ungleiche Kampf der arabischen Sprache

    Lateiner des Orient

    Dieser Artikel von Qantara beschreibt aktuell, wie im Golf die Sprachkompetenz des Arabischen immer mehr zurück geht. Das gilt aus meiner Sicht nicht nur für den Golf. In allen Ländern, in denen ich arabisch lernen durfte, habe ich ähnliche Beobachtungen gemacht. Hier meine Gedanken zu den Unmöglichkeiten des Arabischen in der modernen Zeit nach Erringen meines ersten Zeugnisses:

    Ich habe die Abschluss-Examen an der Jordan University bewältigt und bin nach 2-monatigem Sprachstudium nun Besitzerin eines Zertifikates über die erfolgreiche Absolvierung von Level 1 Arabisch. Für mich ist das eine Errungenschaft, auf die ich durchaus stolz bin. Kann ich deswegen Arabisch? Natürlich nicht!

    Gnädiger Herr, hätten Sie die Güte ….

    Dazu eine kleine Ausführung: Die Arabische Sprache im Sinne des Standard-Arabisch ist die Grundlage aller gesprochenen arabischen Sprachen in den 22 Ländern der arabischen Welt. Es ist die Schriftsprache, die in dieser Form allerdings in keinem Land alltäglich gesprochen wird. Man könnte auch sagen, es ist die Gelehrtensprache, die Sprache des Koran, die für Eingeweihte blumig und altertümlich klingt. Wenn ich mir also mit meinen mühsam erworbenen Kenntnissen einige Sätze abringe, sind die Reaktionen der Bevölkerung zwischen belustigt und ungläubig, dass da jemand in Shakespear’scher Manier versucht, mit ihnen zu konversieren.

    Mein besonderes Vergnügen ist, die bereits beschriebenen Taxifahrer auf diese Weise zu beglücken. Es muss so ähnlich klingen wie: „Gnädiger Herr, hätten Sie die Güte mich mit Ihrem Gefährt auf den Weg zu bringen ….“ Deswegen habe ich parallel begonnen, ein paar Worte in Amieh, der Dialekt-Sprache der Region rund um Syrien, Palästina und Jordanien zu lernen. Man könnte es auch so beschreiben, dass ich in Italien bin und Latein lerne. Durchaus verwandt aber doch ganz anders. Dazu kommt noch, dass Standard-Arabisch, ähnlich wie Latein, unendlich kompliziert aufgebaut ist, weswegen es ja kaum jemand spricht. Um einen Satz zu formulieren, muss ich alleine für die Bildung des Verb 19 Konjugationen geistig durchspielen, da im Standard-Arabisch nicht nur zwischen Geschlechtern, Singular und Plural, sondern auch zwischen 2 und mehreren unterschieden wird. Dazu kommen noch die unterschiedlichen Zeiten wie bei uns im Deutschen. Und das ist nur ein Beispiel von mehreren Verkomplizierungen, die dazu führen, dass ich mehr denke als spreche. Mein Arabischlehrer findet, dass das bei mir sehr lustig aussieht. Er kann an meinem Gesicht und der Tiefe meiner Stirnfalte bereits ablesen, wo ich hängen geblieben bin.

    Nur 15.000 – 18.000 neue arabische Bücher jährlich *

    Viele AraberInnen haben inzwischen Schwierigkeiten, die Grammatik von Standard-Arabisch richtig anzuwenden. Das ist einer der Gründe, warum AraberInnen so wenig Gedrucktes lesen. Das sehe ich als Problem, weil es dazu führt, dass zu wenig Wissen über die eigene Kultur ebenso wie fremde Kulturen und Geschichte vorhanden ist. Intellektuelle Auseinandersetzungen werden dadurch erschwert. Aber soweit bin ich noch nicht. Ich beschränke mich derzeit noch darauf, in der Sprache des Seneca (leider ohne dessen Inhalte) auf Taxifahrer und Händler einzureden und Antworten auf Italienisch im schlimmsten sizilianischen Dialekt zurück zu bekommen. Eine interessante sprachliche Pattstellung, aber ich bin auch in China auf den Berg gekommen.

    * Die vernachlässigte Sprache aus Qantara.de
    Mein Blog Beitrag über meine schwierigen Anfänge des Arabisch Lernens

    Der Beitrag über die Fortsetzung meines Arabisch Lernens wird aus gutem Grund geheim gehalten. Ich weiß zu wenig, um die Sprache zu beherrschen aber ausreichend, um sie in all ihrer Schönheit und philosophischen Kraft zu bewundern. Ein Playdoyer über die Arabische Hochsprache und die Bedeutung ihres Erwerbes – Ff.